Leitsatz
Bei der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG mindert die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Umsatzsteuer nicht die Bemessungsgrundlage, obwohl dies der Systematik und dem Zweck der Regelung widerspricht (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 – C 180/22, EU:C:2023:565).
Normenkette
§ 25a Abs. 3 Satz 3, Abs. 7 UStG, Art. 312, Art. 315, Art. 317 Abs. 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 163 AO
Sachverhalt
Der Kläger ist Kunsthändler. Im Jahr 2014 (Streitjahr) bezog er u.a. Kunstgegenstände von Künstlern, die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren. Die Künstler erklärten im EU-Ausland steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen und der Kläger steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe im Inland (ermäßigter Steuersatz).
Der Kläger begehrte die Anwendung der Differenzbesteuerung und zog die USt auf den innergemeinschaftlichen Erwerb ab, was das FA ablehnte.
Der EuGH entschied auf Vorlage des FG mit seinem Urteil Mensing I, dass der Kläger für die Umsätze die Differenzbesteuerung anwenden darf, aber ihm kein Recht auf Vorsteuerabzug zusteht. Zur Marge sagte der EuGH nichts.
Das FG Münster als Vorinstanz (FG Münster, Urteil vom 7.11.2019, 5 K 177/16 U, Haufe-Index 10969753) gab daraufhin der Klage statt. Es entschied, die USt auf die innergemeinschaftlichen Erwerbe sei margenmindernd zu berücksichtigen, obwohl nach den Rz. 52 ff. der Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar (EU:C:2018:722) keine dem Art. 317 Satz 2 MwStSystRL vergleichbare Regelung für innergemeinschaftliche Erwerbe existiere.
Der BFH legte die Frage dem EuGH vor. Der EuGH folgte mit dem Urteil Mensing II der Auffassung des Generalanwalts.
Im Lauf des Verfahrens beim EuGH erließ das FA einen Änderungsbescheid nach Betriebsprüfung.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück, damit es die Änderungen durch die Betriebsprüfung prüft. In der Sache folgte er dem Urteil des EuGH: Zur Frage, ob eine Billigkeitsmaßnahme geboten sein könnte, äußerte sich der BFH nicht abschließend.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil ist ein Beispiel für folgende, in letzter Zeit mehrfach aufgetretene Situation: Das nationale Gericht legt eine Sache dem EuGH vor, die Schlussanträge der/des zuständigen Generalanwältin/-anwalts werfen eine unionsrechtliche Zweifelsfrage auf, aber der EuGH äußert sich zu der Zweifelsfrage in seinem Urteil nicht. Die Sache kommt mit diesem Ergebnis zum nationalen Gericht zurück.
a) Wozu führt das Schweigen des EuGH, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht (erneut oder erstmals) mit dem Fall befasst wird? Die Antwort des Art. 267 Abs. 3 AEUV darauf lautet: In der Regel (FA T II, P-GmbH II und im Besprechungsfall Mensing II) ist eine erneute EuGH-Vorlage notwendig, wenn die Unionsrechtslage nicht zweifelsfrei ist. Der EuGH muss also die Frage einige Zeit später doch noch beantworten. Das nationale Gericht folgt dann der Antwort des EuGH.
b) Der EuGH kann aus der Häufung dieser Fälle möglicherweise den Schluss ziehen, dass er besser schon im ersten Urteil zu einer in den Schlussanträgen aufgeworfenen Frage Stellung nimmt, wenn die Antwort nicht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV zweifelsfrei ist. Sein Schweigen führt sonst höchstwahrscheinlich nur zu neuen Vorlagen.
2. Im Streitfall entschied der BFH am Ende der 2. Runde beim EuGH, dass bei der Differenzbesteuerung des § 25a UStGdie auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende USt nicht die Marge mindert, obwohl dies system- und zweckwidrig ist. Deshalb ist nun der Unionsgesetzgeber am Zug. Nur er kann aus Sicht des EuGH den allseits unbefriedigenden Zustand durch Änderung der MwStSystRL ändern. Die nationalen Behörden und Gerichte können bis dahin allenfalls mit Billigkeitsmaßnahmen helfen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.11.2023 – XI R 22/23 (XI R 2/20)