Differenzbesteuerung und innergemeinschaftlicher Erwerb
Blick in das UStG
Nach Maßgabe von § 25a UStG wird eine Differenzbesteuerung unter folgenden Voraussetzungen zugelassen:
- Der Unternehmer ist ein Wiederverkäufer.
- Die Gegenstände wurden an den Wiederverkäufer im Gemeinschaftsgebiet geliefert.
- Die Gegenstände sind keine Edelsteine oder Edelmetalle.
Der Gesetzgeber lässt die Differenzbesteuerung auch auf Kunstgegenstände oder Antiquitäten zu, die der Unternehmer selbst eingeführt hat. Entsprechendes gilt für Kunstgegenstände, wenn die Lieferung an ihn steuerpflichtig war und nicht von einem Wiederverkäufer ausgeführt wurde.
Die Differenzbesteuerung wird allerdings nationalstaatlich auf die Lieferung eines Gegenstandes ausgeschlossen,
- den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben hat,
- wenn auf die Lieferung des Gegenstandes an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen Gemeinschaftsgebiet angewendet worden ist.
Der BFH musste sich zunächst mit der Frage befassten, ob der Ausschluss der Differenzbesteuerung bei innergemeinschaftlichen Erwerben mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Im Weiteren war zu klären, ob bei Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung die nicht als Vorsteuer abziehbare Erwerbsteuer die Marge mindert.
Sachverhalt: Kunsthändler mit innergemeinschaftlichem Erwerb
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Der Kläger ist Kunsthändler.
- Er betreibt Galerien in mehreren deutschen Städten.
- Im Laufe des Jahres 2014 (Streitjahr) bezog er auch Kunstgegenstände von Künstlern, die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren.
- Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt.
- Der Kläger versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe mit dem ermäßigten Steuersatz (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a UStG).
- Mit Einspruch gegen einen geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 machte der Kläger geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG, wonach die Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferung eines Gegenstands finde, den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben habe, wenn auf die Lieferung des Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen Gemeinschaftsgebiet angewendet worden sei, unionsrechtswidrig sei.
- Mit Einspruchsentscheidung vom 22.12.2015 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
- In der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2014 erfasste der Kläger die streitbefangenen Umsätze unter Anwendung der Differenzbesteuerung.
- Das Finanzamt lehnte unter Hinweis auf § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a) UStG die Anwendung der Differenzbesteuerung ab. Vielmehr sei die Umsatzsteuer auf das gesamte Entgelt zu erheben.
Erste Entscheidungen des EuGH: Differenzbesteuerung entgegen dem deutschen UStG anwendbar
Das FG Münster (Beschluss v. 11.5.2017, 5 K 177/16 U) legte dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH entschied mit Urteil v. 29.11.2018 (C-264/17), dass Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL es gestatte, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer von Kunstgegenständen auf im Rahmen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung erworbene Gegenstände bei der Weiterlieferung die Differenzbesteuerung anwenden dürfe. Ein Vorsteuerabzug aus der Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb komme dann allerdings nicht in Betracht.
FG Münster: Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb wirkt sich margenmindernd aus
Mit Folgeentscheidung ließ das FG Münster bei Anwendung der Differenzbesteuerung die vom Kläger getragene Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb als margenmindernde Kosten zu (Urteil v. 7.11.2019, 5 K 177/16 U).
Zweite Entscheidung des EuGH: Erwerbsteuer ohne Auswirkung auf die Differenzbesteuerung
Gegen die letztgenannte Entscheidung des FG Münster wandte sich die Finanzverwaltung. Der BFH legte dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor (BFH, Beschluss v. 20.10.2021, XI R 2/20). Der EuGH verneinte bei Anwendung der Differenzbesteuerung mit Hinweis auf Art. 317 MwStSystRL einen Abzug der Umsatzsteuer bei innergemeinschaftlichem Erwerb (EuGH, Urteil v. 13.7.2023, C-180/22).
Nachfolgeentscheidung des BFH: Erwerbsteuer ohne Auswirkung auf die Differenzbesteuer –Billigkeitserlass aber möglich
Als Nachfolgeentscheidung hat der BFH mit Urteil v. 22.11.2023 (XI R 22/23 und XI R 2/20) entschieden, dass die Berücksichtigung der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallenden Steuer nicht in Betracht komme. Der BFH weist in Rz. 26 darauf hin, dass er an die Entscheidung des EuGH gebunden sei. Offensichtlich war der BFH geneigt, eine andere – wirtschaftlich überzeugendere - Auffassung zu vertreten.
Gleichwohl wurde die Sache erneut an das FG Münster zurückverwiesen. Der Hintergrund lag darin, dass die Vorinstanz die nicht abziehbare Umsatzsteuer mit rd. 59.200 EUR bezifferte, wohingegen die Erwerbsteuer in der Einspruchsentscheidung mit rd. 60.100 EUR bemessen wurde.
Von besonderer Praxisrelevanz sind die Ausführungen des BFH zu möglichen Billigkeitsmaßnahmen (Rz. 30). Mit Hinweis auf die aktuelle EuGH-Rechtsprechung neigt der BFH offensichtlich dazu, einen Teilerlass der Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung „Steuer auf die Erwerbsteuer“ zu gewähren.
Praxisfolgen
Der Entscheidungsmarathon verdeutlicht zunächst, dass die nationalstaatliche Regelung an die EuGH-Rechtsprechung anzupassen ist. Einen Ausschluss der Differenzbesteuerung bei innergemeinschaftlichen Erwerben ist mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Bis zu einer Gesetzesänderung kann man sich unmittelbar auf das Unionsrecht berufen, sofern dies im Einzelfall günstiger ist.
Zum anderen soll sich die Erwerbsteuer nicht auf die Margenbesteuerung auswirken (vgl. § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG). Wirtschaftlich folgt daraus eine Besteuerung der Erwerbsteuer. Dem will der BFH offensichtlich durch einen Billigkeitserlass nach §§ 163 bzw. 227 AO begegnen. Ein Erlass im Billigkeitswege führt zu einer sachgerechten Besteuerung und dessen Antragstellung ist Beratern nur anzuraten, u.a. um sich keinen eigenen Haftungsrisiken auszusetzen.
BFH, Urteil v. 22.11.2023, XI R 22/23 (XI R 2/20); veröffentlicht am 28.3.2024
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