Ewald Dötsch, Alexandra Pung
12.4.1 Allgemeines, Rechtsentwicklung
Tz. 1024
Stand: EL 110 – ET: 06/2023
Nach § 14 Abs 4 KStG idF des JStG 2008 ist für Minder- und Mehrabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben, in der St-Bil des OT ein besonderer aktiver oder passiver AP zu bilden.
Praktiziert wurde die Bildung organschaftlicher AP jedoch bereits seit länger als einem halben Jahrhundert vor ihrer ges Kodifizierung. Vor der erstmaligen Aufnahme von Regelungen in R 59 KStR 1995 haben zu den bei organschaftlichen Minder- und Mehrabführungen sich ergebenden stlichen Fragen lediglich Länder-Erl (s Erl des Fin-Min Ba-Wü v 18.04.1961, BStBl II 1961, 79) Stellung genommen.
"Erfunden" wurden die organschaftlichen AP von dem früheren Leiter der St-Abteilung des Fin-Min NRW, Rudolf Thiel (s Thiel, BB 1960, 735; StbJb 1961/62,201; BB 1965, 743, BB 1966, 116; dazu auch s J Thiel, in FS Lang, 2010, 753, 757). Thiel und, ihm folgend, die Fin-Verw in Länder-Erl, wollten mit den in der St-Bil des OT als Zusatzposten zur Organbeteiligung auszuweisenden besonderen AP das Problem in den Griff bekommen, dass ohne solche stlichen Korrekturposten in bestimmten Fällen Einkommensteile einer OG doppelt oder gar nicht besteuert würden. Bereits damals z Zt des "klassischen" KSt-Systems, in dem außerhalb der Organschaft die Mehrfachbesteuerung des von einer Kö erwirtschafteten Einkommens der Normalzustand war, galt für die Organschaft ein Sonderrecht, das die nur einmalige Besteuerung des Organeinkommens regelte.
Eine Doppel- oder Nichtbesteuerung von Teilen des Organeinkommens konnte sich damals und kann sich partiell auch noch heute in Zeiten des Teil-Eink-Verfahrens bei Nichtbildung eines organschaftlichen AP ergeben, weil die nach dem H-Bil-Ergebnis bemessene Gewinnabführung bzw Verlustübernahme und die der Zurechnung des stlichen Organeinkommens zugrunde liegende BV-Veränderung laut St-Bil unabhängig voneinander sind. Wegen der uE zutr Auff, wonach die AP der zutr Abgrenzung der Besteuerungssysteme innerhalb und außerhalb der Organschaft dienen, s Tz 1178.
Das BMF äußerte sich zu Einzelfragen der stlichen Behandlung von in organschaftlicher Zeit verursachten Minder- und Mehrabführungen (s Schr des BMF v 10.01.1981, BStBl I 1981, 44; heute inhaltlich überholt).
Tz. 1025
Stand: EL 110 – ET: 06/2023
Warum sind Thiel und die Fin-Verw im Jahr 1960 auf die komplizierte AP-Lösung und nicht bereits damals auf die nunmehr im KöMoG geregelte wes einfacher handhabbare Einlagelösung gekommen? Die Antwort auf diese Frage ist, dass zu der damaligen Zeit die Einlagelösung, falls man sie überhaupt als Alternativlösung in Erwägung gezogen hat, das Problem der Doppelbesteuerung nicht gelöst hätte, denn Einlagenrückzahlungen waren vor der KSt-Reform 1976 beim Empfänger stpfl Kap-Ertrag.
Tz. 1026
Stand: EL 110 – ET: 06/2023
Das Thema der organschaftlichen AP steht für einen der schillerndsten Bereiche des KSt-Rechts. Es ist ein Thema, das sich, weil sich der Ges-Geber vor dem JStG 2008 überhaupt nicht, die Fin-Verw und die Rspr nur zu einigen Einzelfragen geäußert haben, zu einer Art Geheimwissenschaft entwickelt hat, die zumindest außerhalb der zentralen Fragestellungen nur wenige Esoteriker in den Unternehmen, in den stberatenden Berufen und in der Fin-Verw beherrschen. Hierzu sei stellvertretend auf eine ehemals in der internen Bp-Kartei der früheren OFD Ddf (Stand: 1985/1996) enthaltene 25-seitige Darstellung zu Einzelproblemen der organschaftlichen AP hingewiesen, die nicht für sich in Anspruch nehmen konnte, den Fragenkatalog auch nur annähernd abzudecken.
Tz. 1027
Stand: EL 110 – ET: 06/2023
Kein geringerer als Ludwig Schmidt (s Schmidt, JbFStR 1970/71, 179, 201) gab vor mehr als fünfzig Jahren zu bedenken, "ob die organschaftlichen AP nicht in den Orkus geworfen werden sollen".
Im Jahr 1995 hat eine Bund-Länder-Kommission genau das vorgeschlagen und eine ges Regelung angeregt, nach der Minder- und Mehrabführungen bei Organschaft stlich als Einlage bzw Einlagenrückzahlung behandelt werden sollten (dazu bereits s Dötsch, DB 1993, 752). Die damalige Bund-Länder-Kommission wollte die stliche Behandlung vororganschaftlich verursachter und organschaftlich verursachter Minder- und Mehrabführungen auf der Grundlage der Einlagelösung vereinheitlichen, was uE nach wie vor vorzuziehen wäre. Der Vorschlag fand die Zustimmung der in die Diskussion einbezogenen Wirtschaftsverbände. Da die Fachwelt erwartete, der BFH würde in einem damals anhängigen Verfahren die AP-Lösung der Verw verwerfen, sollte jedoch mit einer ges Regelung gewartet werden. Nachdem dann der BFH (s Urt des BFH v 24.07.1996, BStBl II 1996, 614) wider Erwarten die AP-Lösung bestätigte, unterblieb die zunächst beabsichtigte Ges-Änderung.
Da die organschaftlichen AP den Sinn und Zweck haben, eine doppelte bzw eine Nichtbesteuerung des in vertraglicher Zeit erwirtschafteten Einkommens der OG zu verhindern, stellte sich nach dem Systemwechsel vom früheren Anrechnungs- zum Halb-/Teil-Eink-Verfahren und der damit verbundenen Einführung der in § 8b Abs 2 K...