Ewald Dötsch, Torsten Werner
Tz. 99a
Stand: EL 84 – ET: 08/2015
Nach § 20 Abs 1 Nr 1 S 4 EStG gelten als sonstige Bezüge auch Einnahmen, die an Stelle der Bezüge iSd § 20 Abs 1 Nr 1 S 1 EStG von einem anderen als dem AE nach § 20 Abs 5 EStG bezogen werden, wenn die Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden.
Mit dieser durch das JStG 2007 eingefügten Regelung, die gem § 52 Abs 36 S 6 EStG idF des JStG 2007 erstmals auf nach dem 31.12.2006 getätigte Verkäufe anzuwenden ist, versucht der Gesetzgeber einem Gestaltungsmodell im Bereich der KapSt entgegenzuwirken. Die neue Vorschrift soll die doppelte oder ggf mehrfache Anrechnung von KapSt auf Dividenden verhindern.
Dabei geht es um die Abwicklung von Aktiengeschäften, die vor dem Gewinnverteilungsbeschl abgeschlossen, aber erst danach erfüllt werden. § 20 Abs 1 Nr 1 S 4 EStG idF des JStG 2007 soll den KapSt-Einbehalt bei "künstlichen Dividenden" (auch als "manufactured dividends" bezeichnet), die aufgrund von Leerverkäufen girosammelverwahrter Aktien in zeitlicher Nähe zum Dividendenstichtag entstehen, sicherstellen. Dazu wird das den Leerverkauf ausführende inl Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut verpflichtet, von diesen Eink KapSt einzubehalten und abzuführen. Die KapSt-Besch wird von dem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut des Aktienerwerbers ausgestellt (§ 45a Abs 3 S 2 EStG).
Tz. 99b
Stand: EL 84 – ET: 08/2015
Ein aus stlicher Sicht unproblematischer "normaler" Aktienverkauf wird nach den Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse am zweiten Börsentag nach dem Tag des Geschäftsabschlusses erfüllt (wg Einzelheiten s Wagner, DK 2007, 127, 128). Die Aktien befinden sich dabei regelmäßig in Girosammelverwahrung bei einer Wertpapiersammelbank (§§ 5 ff DepotG), die die Regulierung der Dividenden zum Ausschüttungszeitpunkt vornimmt (dazu s Rau, DStR 2007, 1194 und DStR 2010, 1267).
Bei einem normalen Aktienverkauf ("cum" Dividende) wird bei dem Verkäufer ein sog Sperrvermerk gesetzt, um zu verhindern, dass an diesen die Nettodividende ausgezahlt wird. Ungeachtet der Tatsache, dass die Papiere zum Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschl noch nicht in dessen Depot eingebucht worden sind (Einlieferung erfolgt zwei Tage später), erhält bereits der Aktienerwerber die Nettodividende, denn nach der Abwicklungspraxis an der Börse und der Rspr des BFH zum sog Dividendenstripping (s Urt des BFH v 15.12.1999, BStBl II 2000, 527; bestätigt durch Beschl des BFH v 20.11.2007, BStBl II 2013, 287; hierzu s Tz 51) gilt der Erwerber der Aktien mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Geschäftes als dividendenberechtigter wirtsch Eigentümer gem § 39 Abs 2 AO. Zum Übergang des wirtsch Eigentums s Tz 99h.
Nur der Erwerber erhält von seinem depotführenden Kreditinstitut eine St-Besch gem § 45a Abs 3 EStG. Die vorstehenden Grundsätze zum Übergang des wirtsch Eigentums gelten nach Auff des BFH nicht nur bei Aktien, die sich in Girosammelverwahrung befinden, sondern auch iRd außerbörslichen Handels (s Urt des BFH v 16.04.2014, BFH/NV 2014, 1813).
Tz. 99c
Stand: EL 84 – ET: 08/2015
Die Regelung des § 20 Abs 1 Nr 1 S 4 EStG betrifft insbes sog Leerverkäufe. Mit Leerverkauf wird der börsliche oder außerbörsliche (OTC) Verkauf von Waren oder Finanzinstrumenten (insbes Wertpapiere und Devisen) bezeichnet, die der Verkäufer noch nicht besitzt. Um seine spätere Lieferverpflichtung erfüllen zu können, muss er sich bis dahin mit den erforderlichen Waren bzw Finanzinstrumenten eindecken.
Bei Kaufabwicklungen um den Ausschüttungstermin werden die Aktien zwar mit Dividendenanspruch ("cum" Dividende) veräußert (Leerverkauf vor dem Gewinnausschüttungsbeschl), aber ohne Dividendenanspruch ("ex" Dividende) geliefert (Lieferung an Leerkäufer erst nach dem Gewinnausschüttungsbeschl). Das Problem ist, dass derjenige, der die Aktien von einem Leerverkäufer erwirbt, in der Abwicklungspraxis der Börse (Abwicklung über die Wertpapiersammelbank) trotzdem wie ein herkömmlicher Erwerber behandelt wird, dh bei Leerverkäufen wird der Leerverkäufer ebenfalls als wirtsch Eigentümer betrachtet (§ 20 Abs 5 EStG) und ihm müsste – neben dem zivilrechtlichen Eigentümer der Aktien – ebenfalls eine Dividende bezahlt werden. Ein Sperrvermerk durch die Depotbank des Verkäufers wird in dieser Konstellation nämlich nicht gesetzt, da der Leerverkäufer die Wertpapiere zum Verkaufszeitpunkt noch nicht in seinem Depot hat und eine Sperre daher ins Leere laufen würde (s Bruns, DStR 2010, 2061, 2062).
In der Praxis wird zur Abwicklung sog Leerverkäufe als Vehikel meist das Institut der Wertpapierleihe eingesetzt (s Wagner, DK 2007, 127, 129). Wg anderer Rahmenverträge in diesem Zusammenhang s Bruns (DStZ 2012, 333, 338). Bei einem Leerverkauf muss sich der Veräußerer die verkauften Aktien erst selbst beschaffen, was erst zu einem Zeitpunkt möglich ist, in dem bereits der Dividendenabschlag vorgenommen worden ist. Dh die betr Aktien sind in dem Zeitpunkt der Dividendenzahlung noch im rechtlichen Ei...