dem Grundsatzurteil über sog. Cum-Ex-Geschäfte

Der BFH hat klargestellt, dass ein steuerbefreiter Pensionsfonds nur dann einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) hat, wenn er Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer "einbehalten und abgeführt" worden ist. Gläubiger der Kapitalerträge ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung zivilrechtlich oder wirtschaftlich zuzurechnen sind.

Des Weiteren hat der BFH entscheiden, dass das wirtschaftliche Eigentum über die Anteile bei sog. Cum-Ex-Geschäften nicht erworben wird, wenn nach einem Gesamtvertragskonzept der zivilrechtliche Erwerber nur die Funktion hat, seine Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und "passiver Teilnehmer" zu dienen.

Hintergrund: "Cum-Ex" auf dem Prüfstand

Mit dem Grundsatzurteil über sog. Cum-Ex-Geschäfte erteilt der BFH dem Geschäftskonzept eine Absage, mit dem Unsicherheiten bei der Zuordnung von Aktien dazu benutzt wurden, eine einmal einbehaltene Abzugsteuer zweifach oder mehrfach angerechnet oder ausgezahlt zu bekommen.

Der nach dem DBA-USA von der inländischen Abzugsteuer befreite Pensionsfonds (P) beantragte in 2011 die Erstattung von KapSt (zuzüglich SolZ) nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG mit der Begründung, er habe kurz vor dem Dividendenstichtag Aktien deutscher Aktiengesellschaften als sog. Futures "cum Dividende" erworben, die ihm (börsenüblich) zeitverzögert erst nach dem Stichtag "ex Dividende" übereignet wurden (Gutschrift auf seinem inländischen Depot); zugleich erhielt er eine Dividendenkompensationszahlung ("Nettodividende", rechnerisch der Dividendenanspruch nach Abzug der bei einer Ausschüttung anfallenden Abzugsteuer). P war dabei Teil eines mit mehreren Beteiligten eng aufeinander abgestimmten Gesamtkonzepts zum kurzfristigen Kauf und Verkauf von Aktien im Umfang von mehreren Mrd. EUR.

P machte geltend, ihm stehe der Erstattungsanspruch zu, da er vor dem Dividendenstichtag wirtschaftliches Eigentum erworben und damit den zivilrechtlichen Eigentümer verdrängt habe. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus dem Einbehalt der Abzugsteuer.

Das FA und ihm folgend das FG lehnten den Antrag ab. P sei im Zeitpunkt der Gewinnverteilungsbeschlüsse nicht (wirtschaftlicher) Eigentümer der Aktien gewesen. Es seien für ihn auch keine Abzugsteuern einbehalten und abgeführt worden. 

Entscheidung: Kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Cum-Ex

Der BFH bestätigte die Auffassung des FG und wies die Revision als unbegründet zurück. P war nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien und damit nicht Gläubiger der Kapitalerträge. Außerdem setzt ein Erstattungsanspruch voraus, dass Abzugsteuer einbehalten und abgeführt wurde.

Kein zivilrechtliches Eigentum

Der Anspruch steht nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG dem Dividendengläubiger zu, also des Anteilseigners, dem die Anteile zuzurechnen sind. Die Future-Kontrakte, gerichtet auf die Lieferung von Aktien vor dem Dividendenstichtag, konnten dem P kein zivilrechtliches Eigentum an den Aktien zum Dividendenstichtag verschaffen, da die Aktien mit dem schuldrechtlichen Vertrag noch nicht seinem Depotkonto zugeschrieben waren.

Grundsätze zum wirtschaftlichen Eigentum

Eine Zuordnung zum wirtschaftlichen Eigentümer setzt voraus, dass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut in der Weise ausschließen kann, dass der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat (z.B. BFH v. 22.11.1996, VI R 77/95, BStBl II 1997, 208).

Entscheidend ist die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis, da sie die Herrschaft über die Leistungsbeziehung als Grundlage der Einkunftserzielung ermöglicht. Bei Aktiengeschäften erlangt der Erwerber daher wirtschaftliches Eigentum grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt, von dem an er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen bzw. die damit verbundenen Rechte (Stimmrecht, Dividendenbezug) ausüben kann. Dabei kommt es bei einem auf einer einheitlichen Planung mehrerer Beteiligter beruhenden Gesamtvertragskonzept (wie im Streitfall) nicht auf die Teilkomponenten an. Die einzelnen Verträge sind zusammenfassend zu betrachten (BFH v. 27.10.2005, IX R 76/03, BStBl II 2006, 359).

Das wirtschaftliche Eigentum wird maßgebend von den schuldrechtlichen Befugnissen geprägt. Eine Zuordnungsentscheidung kann im Sine der Alternativität nur zwischen dem rechtlichen und dem wirtschaftlichen Eigentümer getroffen werden. Die Zurechnungsentscheidung für eines der beiden Rechtssubjekte schließt eine zeitpunktbezogen abweichende Zurechnungsentscheidung zu dem anderen Rechtssubjekt aus, wie ebenfalls eine zeitpunktbezogen parallele Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an verschiedene Rechtssubjekten. Ein mehrfaches wirtschaftliches Eigentum an derselben Aktie ist damit ausgeschlossen.  

Kein wirtschaftliches Eigentum des P

Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass P aufgrund der Vereinbarungen von einer tatsächlichen Herrschaft über die Aktien sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zum Erwerb als auch für einen späteren Zeitpunkt ausgeschlossen war. Denn er wurde aufgrund einer modellhaften Gestaltung konzeptionell von einem Einfluss auf die Wertpapiergeschäfte ferngehalten und sollte auch nicht direkt an dem Geschäftserfolg beteiligt sein, sondern im Ergebnis nur für seine gestaltungsermöglichende Existenz als Rechtsperson entgolten werden. Der BFH folgt dieser Würdigung durch das FG nach dem Gesamtbild der Verhältnisse. Sie beruht auf den Feststellungen des FG zu den Umständen des Aktienerwerbs und der Aktienverwertung, die auch der Typik der "Erscheinungsformen von Cum/Ex-Geschäften" entsprechen. Diese Feststellungen des FG sind im Revisionsverfahren nach § 118 Abs. 2 FGO zu beachten. Folgende Aspekte hebt der BFH besonders hervor:

  • fehlende Zugriffsmöglichkeit des P auf die Anteile
  • rein formale Stellung des P
  • keine Möglichkeit, die Aktionärsrechte wahrzunehmen
  • bloßer Durchgangserwerb des P ohne Tatbestandsrelevanz
  • keine Beteiligung am Geschäftserfolg

Kein Erstattungsanspruch aufgrund einer Bankbescheinigung

Ein Erstattungsanspruch für einbehaltene und abgeführte Steuer kann nicht bereits mit einer von der Depotbank des Erwerbers ausgestellten Bank-Bescheinigung ("Credit Advice") begründet werden, die neben der "Nettodividende" auch KapSt-Beträge ausweist (s.a. BFH v. 29.4.2008, VIII R 28/07, BStBl II 2009, 842). Denn diese Bescheinigung (§ 45a Abs. 3 Satz 2 EStG) kann angesichts des (auf den Zeitraum nach dem Dividendenstichtag verzögerten) Erwerbs nicht auf die Abzugsteuer des ausschüttenden Emittenten bezogen werden. Bei der Geschäftsabwicklung ist es auch nicht zu einer Einbehaltung von KapSt gekommen. Die Bescheinigung beweist nicht die "tatsächliche" Einbehaltung und Abführung der KapSt durch die bescheinigende Stelle (Depotbank des P) im Zusammenhang mit der bei ihr zugeflossenen Dividendenkompensationszahlung.

Kein Nachweis einbehaltener Steuer durch Auszahlung einer "Netto-Dividende"

Eine "einbehaltene und abgeführte Steuer" wird auch nicht durch den Umstand der Auszahlung einer "Netto-Dividende" (rechnerisch ein Dividendenbetrag nach Abzug eines Betrages in Höhe einer gesetzlichen Abzugsteuer) bewiesen.

Hinweis: Wirtschaftliches Eigentum

Die Kernproblematik liegt in der Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums. Dazu ist eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgestaltungen vorstellbar – vom Inhaber- zum Leerverkauf und vom Einzelvertrag zur Einbindung in ein modellhaft angelegtes Gesamtkonzept. Ob es sich im Streitfall um eine "Leerverkaufssituation" handelte, blieb unaufgeklärt und konnte offen bleiben. Die Entscheidung verdeutlicht, dass für die Beurteilung des wirtschaftlichen Eigentums letztlich eine wertende Zuordnung ausschlaggebend ist, die dem FG als Tatsacheninstanz obliegt und die für den BFH bindend ist, wenn Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht ersichtlich sind. Insofern kommt der Ermittlung der Tatsachen durch das FA bzw. FG und damit dem Vortrag der Beteiligten besonderes Gewicht zu.    

Die Entscheidung ist zum Streitjahr 2011 ergangen. Spätere Gesetzesänderungen blieben unberücksichtigt, da sie im Streitjahr noch nicht galten. Gleichwohl können die tragenden Erwägungen auch für die späteren Rechtsänderungen wegweisend sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat für ähnlich gelagerte Strukturen (dort auf der Grundlage einer Feststellung, dass eine sog. Leerverkaufssituation vorlag) auf eine strafbare Steuerhinterziehung erkannt (BGH v. 28.7.2021, 1 StR 519/20, BFH/NV 2021, 1630).

BFH Urteil vom 02.02.2022 - I R 22/20 (veröffentlicht am 17.03.2022)


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