3.1.4.5.3.3.1 Die zivilrechtliche Seite
Tz. 231
Stand: EL 99 – ET: 06/2020
Bei der Wertpapierleihe überträgt der Verleiher dem Entleiher börsennotierte Anleihepapiere oder Aktien. Der Entleiher verpflichtet sich, nach Ablauf der Leihfrist Wertpapiere der gleichen Ausstattung rückzuübertragen.
Bei der sog Wertpapierleihe handelt es sich rechtlich nicht um eine Leihe iSv § 598 BGB, sondern um ein Sachdarlehen iSd §§ 607ff BGB. Die Darlehenshingabe bedeutet die Pflicht des Verleihers (Darlehensgeber), dem Entleiher (Darlehensnehmer) das Eigentum an den Aktien zu übertragen (s § 929ff BGB). Der Entleiher ist zur Zahlung eines Entgelts und bei Fälligkeit zur Rückerstattung von Sachen gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet. Der Entleiher tritt idR in alle Rechte aus den Aktien ein. Ihm stehen während seiner Besitzzeit insbes das Dividenden- und das Stimmrecht zu. Der Entleiher ist als zivilrechtlicher Eigentümer auch berechtigt, die Aktien weiterzuverleihen, zu verkaufen oder zu verpfänden. Ebenso s Urt des FG HH v 24.11.2011 (EFG 2012, 351). Das Risiko eines Kursverfalls geht bei der Wertpapierleihe zu Lasten des Verleihers (s Häuselmann, NWB F 3, 8707).
Die Wertpapierleihe führt zivilrechtlich zur Übertragung des Eigentums an den Aktien auf den Entleiher. Der Entleiher wird idR auch wirtsch Eigentümer der entliehenen Aktien iSd § 39 AO (so auch s Schr des BMF v 11.11.2016, BStBl I 2016, 1324 unter Abschn II.). Sämtliche Erträge aus den darlehensweise übertragenen Aktien stehen dem Darlehensnehmer zu (s § 20 Abs 5 EStG). Ebenfalls hierzu s § 8b KStG Tz 33, Tz 474. Weiter s Roser (Ubg 2008, 89), s Häuselmann (FR 2010, 200) und s Rau (DStR 2015, 2048).
Das wirtsch Eigentum an Aktien, die iR einer Wertpapierleihe (zivilrechtlich) übertragen werden, geht nur im Ausnahmefall nicht auf den Entleiher über. Eine derartige Sachverhaltskonstellation lag dem Urt des BFH v 18.08.2015 (BStBl II 2016, 961) zugrunde. Diese führte dazu, dass der BFH das wirtsch Eigentum an den übertragenen Aktien weiterhin dem Verleiher zugerechnet hat. Der BFH begründete dies mit den Bestimmungen der abgeschlossenen Leihverträge und der Art ihres Vollzugs. Im Einzelnen ergab sich dies im Wesentlichen aus den folgenden Gründen:
- Die Wertpapierleihgeschäfte waren nicht darauf angelegt, dem Entleiher in einem wirtsch Sinne die Erträge aus den "entliehenen" Aktien zukommen zu lassen, da der Verleiher sich diese in Gestalt der Dividendenkompensationszahlungen vollständig vorbehalten hatte.
- Der Entleiher erzielte keinerlei Liquiditätsvorteile aus einer etwaigen zeitversetzten Vereinnahmung der Dividenden und Verausgabung der Kompensationszahlungen, weil die Zahlungen zeit- und betragsgleich erfolgten.
- Es war nicht erkennbar, dass es angesichts des kurzfristigen Umschlags (14 Tage) und des Austauschs der Aktientitel darauf angekommen wäre, Stimmrechte von Seiten des Entleihers auszuüben oder das erhaltene (Sach-)Darlehenskapital wirtsch zu nutzen.
- Es erfolgte kein endgültiger Übergang der Chancen und Risiken, die mit dem Eigentum an den Wertpapieren üblicherweise verbunden sind. Die Verleiherin war berechtigt, die Darlehen jederzeit mit einer Kündigungsfrist von lediglich drei Bankarbeitstagen zu kündigen. Dem Entleiher wiederum war die Ausnutzung geschäftlicher Chancen im Hinblick auf den Kursverlauf der ausgeliehenen Aktien nicht möglich und dies war auch nicht intendiert.
Der BFH kam unter Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis, dass dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition, eine leere Eigentumshülle, verschafft wurde. In diesem Fall findet § 8b KStG auf die Einnahmen des Entleihers keine Anwendung. Hierzu s Gosch (BFH/PR 2016, 105), s Weber-Grellet (BB 2017, 43, 44), s Spengel (DB 2016, 2988), s Fiand (NWB 2016, 344) sowie s § 8b KStG Tz 33. Krit s Haisch (DK 2016, 278) und s Ebel (FR 2016, 371). Hierzu auch s Urt des Nds FG v 17.11.2016 (Az: 6 K 230/15; die NZB wurde mit Beschl des BFH v 12.12.2017 – I B 2/17 – als unbegründet zurückgewiesen). In ähnlicher Weise hat der BFH bereits mit Urt v 16.04.2014 (BFH/NV 2014, 1813) im Zusammenhang mit einer sog Cum/Ex-Transaktion entschieden (hierzu s Tz 187). Den Übergang des wirtsch Eigentums ebenfalls verneinend für den Fall, dass die Wertpapiere nicht darlehens-, sondern sicherungsweise übereignet werden, s Urt des FG Nbg v 07.06.2016 (EFG 2017, 59). Zustimmend s Schmich/Schnabelrauch (GmbHR 2017, 224).
Ditz/Tcherveniachki (DB 2016, 615) gehen – uE zutr – davon aus, dass sich aus dem Urt des BFH v 18.08.2015 (BStBl II 2016, 961) keine generelle Zurechnung des wirtsch Eigentums an den iR einer Wertpapierleihe entliehenen Aktien zum Verleiher ableiten lässt. Hiervon geht wohl auch die Fin-Verw aus (s Schr des BMF v 11.11.2016, BStBl I 2016, 1324). Der ausnahmsweise Verbleib des wirtsch Eigentums beim Verleiher soll dann zu bejahen sein, wenn die Wertpapiere über einen kurzen Zeitraum (Haltedauer von weniger als 45 Tagen) über den Dividendenstichtag hinaus übertragen werden oder die Eigentümerposition...