Leitsatz
1. Ist die ganzjährige nichtselbstständige Tätigkeit eines Steuerpflichtigen nur während eines Teils des Jahres als sozialversicherungspflichtig einzustufen und wurden deshalb nur für diesen Zeitraum Zukunftssicherungsleistungen durch den Arbeitgeber erbracht, widerspricht die Einbeziehung des nichtsozialversicherungspflichtigen Teils der Einnahmen in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs gem. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a EStG i.d.F. des StMBG vom 21.12.1993 den Wertungen des Gesetzgebers und ist deshalb sachlich unbillig.
2. Das FG kann in diesem Fall das FA verpflichten, die ESt entsprechend niedriger festzusetzen (Ermessensreduzierung auf null).
Normenkette
§ 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG, § 101, § 102 FGO, § 163 Satz 1 AO , * Leitsatz nicht amtlich
Sachverhalt
Der Kläger war Geschäftsführer der A-GmbH, an der er zu 20 % beteiligt ist. Nach einer versicherungsrechtlichen Beurteilung der Betriebskrankenkasse war die Geschäftsführertätigkeit ab dem 24.1.2001 als nicht sozialversicherungspflichtig einzustufen. Die GmbH führte deshalb lediglich im Januar 2001 auf ein Gehalt von 6.190 DM Sozialversicherungsbeiträge für den Kläger ab.
Das FA kürzte bei der Einkommensteuerveranlagung 2001 den Vorwegabzug im Rahmen der Vorsorgeaufwendungen in voller Höhe, weil es die gesamten Einnahmen, die der Kläger im Jahr 2001 aus nichtselbstständiger Tätigkeit bezogen hatte, in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezog. Den Antrag des Klägers, die ESt aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO in der Weise festzusetzen, dass der Vorwegabzug lediglich um 990 DM (16 % von 6.190 DM) auf 5.010 DM gekürzt wird, lehnte das FA ab.
Das FG gab der Klage statt. Es verpflichtete das FA, die ESt antragsgemäß nach § 163 AO niedriger festzusetzen, weil es die Voraussetzungen für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen für gegeben sah.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Das FG habe das FA verpflichten können, den Vorwegabzug lediglich um 990 DM zu kürzen. Die Festsetzung der ESt unter voller Kürzung des Vorwegabzugs sei im Streitfall sachlich unbillig.
Hinweis
1. Vorweg zur Klarstellung:
Der BFH bleibt bei der im Urteil vom 16.10.2002, XI R 75/00 (BFH-PR 2003, 176) getroffenen Auslegung, dass nach dem Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG ("wenn" Zukunftssicherungsleistungen erbracht werden) und dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Vorwegabzug auch dann um 16 % der Summe der gesamten Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit zu kürzen ist, wenn der Arbeitgeber nur während eines Teils des Veranlagungszeitraums Leistungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers erbracht hat.
Gerade weil diese Regelung eine solche pauschalierende Kürzung des Vorwegabzugs vorsieht, kann sie allerdings in Einzelfällen – wie beispielsweise im Besprechungsfall – zu einer sachlich unbilligen Festsetzung der ESt führen. Eine solche sachliche Unbilligkeit kann nach der in der AO vorgesehenen Systematik aber nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern nur in einem gesondert zu führenden Billigkeitsverfahren"beseitigt" werden.
2. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer dann, wenn sie zwar dem Tatbestand des Gesetzes entspricht, jedoch den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.5.1995, IV R 51/93, BStBl II 1994, 833). Das hat der BFH hier aus folgenden Gründen angenommen:
Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BTDrucks. 12/5764, 19), hatte der Gesetzgeber bei der Einführung der pauschalierenden Regelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG die Vorstellung, dass bei einer nur zeitweise sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit die Kürzung des Vorwegabzugs wegen des dann verringerten Bezugs von Arbeitslohn stets niedriger sein würde. Dies trifft aber für den hier vorliegenden Fall, dass bei durchlaufendem Arbeitslohn das Arbeitsverhältnis nur während eines Teils des Jahres als sozialversicherungspflichtig einzustufen ist und nur für diesen Zeitraum Zukunftssicherungsleistungen abgeführt werden, nicht zu. Der BFH unterstellt deshalb: Hätte der Gesetzgeber diesen Fall gesehen, hätte er ihn in der Weise geregelt, dass lediglich der sozialversicherungspflichtige Teil des Arbeitslohns zur Kürzung des Vorwegabzugs führen darf.
3. Für die im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu treffende Ermessensentscheidung des FA hat das eine Ermessensreduzierung auf null zur Folge. Das FA ist verpflichtet, die ESt insoweit zu erlassen, als ihre Festsetzung der mutmaßlichen Regelung des Gesetzgebers zuwiderläuft. Diese Verpflichtung zum Erlass konnte das FG gem. § 101 FGO aussprechen.
4. Der BFH hatte die im Besprechungsfall getroffene Billigkeitsentscheidung bereits in den Gründen des Urteils XI R 75/00 angedeutet. Der Kläger hat den Hinweis verstanden. Er hat die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid zurückgenommen und in dem parallel dazu geführten Verfahren nach § 163 AO nunmehr Recht bekom...