Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Erlass eines Grunderwerbsteuerbescheids
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für Steuern vier Jahre. Sie beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon bestimmt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO u.a. für Fälle, in denen eine Anzeige zu erstatten ist, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres.
Beurkundende Notare müssen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG und Steuerschuldner nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 GrEStG über Rechtsvorgänge nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 Anzeige erstatten. Die Anzeigen sind innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang vorzunehmen. Die Anzeigen der Steuerschuldner sind Steuererklärungen i.S. der AO (§ 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG).
Sachverhalt: Festsetzungsfrist für Grunderwerbsteuerbescheid abgelaufen
Der Kläger ist ein Kirchenkreis in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er war in Höhe von 50 % an einer grundbesitzenden gemeinnützigen GmbH (gGmbH) beteiligt. Mitgesellschafter der gGmbH war in Höhe von 50 % ein eingetragener Verein. Dieser übertrug nach seiner Auflösung mit Anteilsübertragungsvertrag vom 13.3.2013 seinen 50 %-Anteil an der gGmbH auf den Kläger.
Der Erwerbsvorgang in Bezug auf die Anteile der gGmbH wurde dem Finanzamt am 26.3.2013 durch den Notar und einen Tag darauf durch den Kläger angezeigt. Der Kläger übersandte dem Finanzamt im Rahmen der Anzeige die Vertragsurkunde und eine Grundstücksliste.
Das Finanzamt erkannte nach Erlass des Feststellungsbescheids vom 25.9.2013 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 17 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 3a GrEStG "für den am 13.3.2013 durch Anteilsübertragungsvertrag" "verwirklichten Erwerbsvorgang" durch "Vereinigung der Anteile i.S.v. § 1 Abs. 3 Nrn. 1 oder 2 GrEStG", dass in der ursprünglich durch den Kläger übersandten Grundstücksliste zwei Grundstücke nicht erfasst worden waren.
Nachdem der Kläger im Jahr 2014 eine ergänzte Grundstücksliste übermittelt hatte, erließ das Finanzamt am 7.10.2014 einen geänderten Feststellungsbescheid, der auch diese Grundstücke erfasste. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Für den in seinem Bezirk belegenen Grundbesitz erließ das Finanzamt am 19.12.2017 Bescheide über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke der Grunderwerbsteuer auf den 13.3.2013 (Wertfeststellungsbescheide), die ebenfalls bestandskräftig wurden.
Mit Bescheid vom 23.1.2018 (Grunderwerbsteuerbescheid) setzte das Finanzamt Grunderwerbsteuer fest. Gegen den Grunderwerbsteuerbescheid legte der Kläger Einspruch ein. Er war der Auffassung, dass bei Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage beim Finanzgericht, mit der der Kläger auch den durch das Finanzamt abgelehnten Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) weiter verfolgte, hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Entscheidung: BFH gibt dem Finanzamt Recht
Durch den Feststellungbescheid nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG werden u.a. die Steuerpflicht des Erwerbsvorgangs dem Grunde nach, die Steuerschuldner und die Grundstücke, die von dem Erwerbsvorgang betroffen sind, festgestellt. Erst aufgrund dieses Bescheids kann die gesonderte Wertfeststellung gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG für die betroffenen Grundstücke erfolgen, weil vorher nicht feststeht, dass und für welche Grundstücke Werte festzustellen sind.
Feststellung des Grundbesitzwerts ist Grundlagenbescheid für den Grunderwerbsteuerbescheid
Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts für Grunderwerbsteuerzwecke ist dann auch (bindender) Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO für den Grunderwerbsteuerbescheid als Folgebescheid. Durch die Anzeigen nach § 18 bzw. § 19 GrEStG sollen daher sowohl die für die Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen zuständigen Finanzämter als auch das für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt in die Lage versetzt werden, die mögliche Grunderwerbsteuerbarkeit des angezeigten Rechtsvorgangs zu prüfen. Dem Feststellungsfinanzamt soll durch die Angaben in der Anzeige ermöglicht werden, die Besteuerungsgrundlagen festzustellen, die das für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt benötigt.
Notwendiger Inhalt der Anzeigen
Der notwendige Inhalt der Anzeigen ergibt sich aus § 20 GrEStG. Unter anderem verlangen § 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GrEStG die Bezeichnung des Grundstücks nach Grundbuch, Kataster, Straße und Hausnummer sowie die Größe des Grundstücks und bei bebauten Grundstücken die Art der Bebauung. Gehören zum Vermögen einer Gesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mehrere Grundstücke, gelten diese Anforderungen für jedes einzelne Grundstück.
Fehlende Angaben
Danach kommt einer Anzeige nach § 18 oder nach § 19 GrEStG bei einer Besteuerung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG jedenfalls dann keine die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) beendende Wirkung für die Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist der zu erlassenden Bescheide zu, wenn die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben in Bezug auf ein Grundstück vollständig fehlen. Diese Rechtsfolge erstreckt sich auf alle von dem Rechtsvorgang der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG betroffenen Grundstücke und nicht nur auf die nicht angegebenen Grundstücke, da die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs. 3 GrEStG bei einem Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG für alle zum Vermögen der Gesellschaft gehörenden Grundstücke in nur einem Feststellungsbescheid zu erfolgen hat.
Fehlen daher einzelne Grundstücke in der Auflistung vollständig, ist es ungewiss, ob und wann das Finanzamt von den fehlenden betroffenen Grundstücken Kenntnis erlangt. Diese Fälle unterscheiden sich von denen, bei denen lediglich einzelne Pflichtangaben nach § 20 GrEStG, wie z.B. die Katasterbezeichnung fehlt, da es in diesen Fällen möglich ist, das Grundstück zu identifizieren.
Im Streitfall waren weder die notarielle Anzeige noch die klägerische Anzeige ordnungsgemäß. In beiden Anzeigen fehlten zwei von der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG betroffene Grundstücke. Die vierjährige Festsetzungsfrist begann daher nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst am 31.12.2016 zu laufen und war bei Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids im Jahr 2018 nicht abgelaufen.
Kein Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO.
Danach können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Erhebung einer Steuer kann sich sowohl aus sachlichen als auch aus persönlichen Gründen ergeben. Sachlich unbillig ist die Erhebung vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Eine sachliche Billigkeitsmaßnahme stellt immer auf den Einzelfall ab und ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme.
Hinweis: Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden
Bestandskräftig festgesetzte Steuern können dann erlassen werden, wenn die Festsetzung eindeutig und offensichtlich unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren. Darüber hinaus wird Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO für den Fall berücksichtigt, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes, die bei der bisherigen Festsetzung durch die Finanzbehörde angewandt worden ist, geändert hat. Bei einer durch die Rechtsprechung noch nicht geklärten Rechtslage liegt demgegenüber kein Vertrauenstatbestand vor.
Der Kläger durfte im Urteilsfall aufgrund einer ungeklärten Rechtslage jedoch nicht darauf vertrauen, dass über die Frage der Steuerbefreiung für den steuerbaren Erwerbsvorgang erst im Grunderwerbsteuerbescheid und nicht bereits in den Feststellungsbescheiden vom 25.9.2013 bzw. 7.10.2014 entschieden wird. Der BFH hat die Rechtsfrage, dass die Entscheidung über die Steuerbefreiung von Erwerbsvorgängen nach dem GrEStG im Feststellungs- und nicht im Festsetzungsverfahren über die Höhe der Grunderwerbsteuer zu treffen ist, erst im Jahre 2022 (BFH v. 12.1.2022, II R 4/20, BStBl II 2022, 521) höchstrichterlich entschieden. Zuvor war die Rechtslage höchstrichterlich ungeklärt, sodass kein Vertrauenstatbestand vorlag, auf den sich der Kläger im Billigkeitsverfahren hätte berufen können. Aus diesem Grund war es dem Kläger zumutbar gewesen, den geänderten Feststellungsbescheid vom 7.10.2014 anzufechten.
BFH Urteil vom 25.04.2023 - II R 10/21 (veröffentlicht am 31.08.2023)
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