Wird nun nicht nur der Einzeleffekt zwischen dem Gesellschafter und seiner Direktbeteiligung betrachtet, sondern auch die Anwendung i.R.d. sog. Verbundvermögensaufstellung, stellt sich vordergründig die Frage, wie Einlagen der Muttergesellschaft in ihre Tochtergesellschaft und von dieser wiederum in die Enkelgesellschaft zu beurteilen sind. Nach enger Auslegung des § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 und Abs. 9 Satz 2 ErbStG würde es somit zu einem Kaskadeneffekt bzw. zu einer Mehrfachberücksichtigung derselben finanziellen Mittel als junge Finanzmittel auf jeder Einlageebene kommen. Diese Möglichkeit der Mehrfachberücksichtigung wird durch die Finanzverwaltung i.R.d. ErbStR 2019 für die hier vorliegenden zeitlich hintereinander fallenden Einlagen zunächst bejaht und i.R.d. ErbStH 2019 durch einen Kürzungsbetrag sowie Beschränkung auf die vorhandenen Finanzmittel der zu übertragenden Gesellschaft zum Stichtag abgeschwächt. Durch den Kürzungsbetrag können demnach die mehrfach erfassten jungen Finanzmittel der nachgeordneten Gesellschaften auf Ebene der Muttergesellschaft abgezogen werden (vgl. R E 13b.29 Abs. 3, Abs. 9 ErbStR 2019; H E 13b.29 "Junge Finanzmittel im Verbund" ErbStH 2019).
Beraterhinweis M.E. ist Stalleiken zuzustimmen, dass weder der durch die ErbStR 2019 angeordnete Kaskadeneffekt noch der durch die ErbStH 2019 eingeräumte Kürzungsbetrag dem Gesetz entspricht und keine abschließende Lösung darstellen kann (vgl. Stalleiken in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020; § 13b ErbStG Rz. 248 ff. m.w.N; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl. 2021, § 13b Rz. 110 ff.).
Zudem ist hier nicht eindeutig, in welchem zeitlichen Zusammenhang der Einlagen der Kürzungsbetrag angewendet werden kann. Die ErbStH 2019 beschreiben den Fall mehrerer zeitlich hintereinander erfolgter Einlagen von Finanzmitteln in nachgelagerte Beteiligungsgesellschaften. Da junge Finanzmittel nur innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren vor dem Übertragungsstichtag entstehen können, erscheint es m.E. als plausibel, von einem solchen zeitlichen Zusammenhang mehrfach hintereinander erfolgter Einlagen auszugehen, wenn die jeweilige Einlage nicht länger als ein Jahr nach der Einlage in die nächsthöhere (einlegende) Gesellschaft erfolgt ist. Im Rahmen der ErbStR 2019 spricht die Finanzverwaltung zudem von dem nicht im Gesetz erwähnten Begriff der sog. "negativen jungen Finanzmittel", die mit positiven jungen Finanzmitteln aus nachgeordneten Gesellschaften verrechnet werden können. Negative junge Finanzmittel sollen dabei z.B. Entnahmen oder Ausschüttungen der jeweiligen Tochtergesellschaft an die nächsthöhere Gesellschaftsebene darstellen. Nach strenger Auslegung der Richtlinienstelle gilt für die negativen jungen Finanzmitteln somit eine Verbundsperre, da diese nicht an die nächsthöhere Verbundgesellschaft weitergegeben werden können (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Stand: 7/2021, § 13b Rz. 417 ff. m.w.N.).
Beispiel (zusammenfassend)
Von der Muttergesellschaft erfolgt eine Einlage an die Tochter, die in zeitlichen Zusammenhang wiederum einen Teil in die Enkelin einlegt. Die Enkelin schüttet an die Tochter aus, die Tochter wiederum an die Mutter. Auf Ebene der Enkelin liegen somit im Ergebnis negative, junge Finanzmittel vor, die nicht i.R.d. Verbundvermögensaufstellung an die Tochter weiteregegeben werden können. Die Tochter wiederum kann in diesem Rahmen die verbleibenden positiven jungen Finanzmittel i.H.v. den verbliebenen 200.000 EUR (die Einlage wurde mit der Ausschüttung verrechnet) an die Mutter weitergeben. In diesem Beispiel liegt kein Kürzungsbetrag vor, da auf Ebene der Enkelin (nach Verrechnung mit der Ausschüttung) keine positiven jungen Finanzmittel verblieben, die aus der Einlage der Tochter im zeitlichen Zusammenhang mit der Einlage der Mutter verbleiben.
Abb. 2: Junge (negative) Finanzmittel im Verbund
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Stalleiken in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 13b Rz. 248 ff. m.w.N.).
Hinsichtlich verbundinterner Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den (un-)mittelbar im Beteiligungsverhältnis stehenden Gesellschaften besteht gem. § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG die Möglichkeit zur Konsolidierung solcher Forderungen und Verbindlichkeiten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass bei nicht 100 %-Beteiligungen ein anzusetzender Forderungs- oder Verbindlichkeitenüberhang entstehen kann. Vergibt bspw. die zu übertragende Muttergesellschaft ein Darlehen von 100.000 EUR an Ihre Tochter, welche sie zu 80 % hält, verbleibt ein Forderungsüberhang von 20.000 EUR, der in die Finanzmittel einfließt. Zwar liegen korrespondierend Verbindlichkeiten bei der Tochtergesellschaft i.H.v. 100.000 EUR vor, jedoch können diese i.R.d. Verbundvermögensaufstellung nur zu 80 % verrechnet werden. Durch diese unmittelbare Verrechnung i.S. einer Konsolidierung verbleiben weniger Brutto-Finanzmittel in Form von konzerninternen Forderungsüberhängen, die in den 90 %-Test einfließen.
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