Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zusammenfassung
Die umsatzsteuerrechtliche Beratung konzentriert sich regelmäßig auf die wesentlichen Fragen der Bestimmung des Orts einer Leistung, der Anwendung von Steuerbefreiungen oder der Bestimmung des Steuerschuldners. Sonderregelungen des Umsatzsteuerrechts, wie die Anwendung der Differenzbesteuerung, der Besteuerung von Reiseleistungen oder die Prüfung der Vorteile bei der Vorsteuerpauschalierung stehen dabei nicht im Mittelpunkt der Prüfung und können deshalb leicht übersehen werden. Dabei können diese Sonderregelungen auch in Alltagsfällen zur Anwendung kommen und im Vergleich zu den Ergebnissen der Regelbesteuerung zu völlig anderen Rechtsfolgen führen.
1 Problematik
Im Mittelpunkt der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten stehen die Vorschriften zur Regelbesteuerung. Die – meistens im hinteren Teil des Umsatzsteuergesetzes "versteckten" – Vorschriften zur Besteuerung in Sonderfällen werden deshalb manchmal bei Unternehmern übersehen.
Sonderregelungen enthalten Chancen und Risiken für den Unternehmer
Teilweise können diese Sonderregelungen für den Unternehmer zu erheblichen Vorteilen führen, teilweise ergeben sich aber auch Risiken, wenn diese Sondervorschriften nicht zutreffend angewendet werden.
In bestimmten Fällen ergeben sich besondere Vorschriften für die Umsatzsteuer, die sich quer durch alle Fragen der Prüfung eines Umsatzes ziehen. Infrage kommen hier insbesondere:
Besteuerung von Reiseleistungen nach § 25 UStG: Führt ein Unternehmer Reiseleistungen aus und nimmt dafür sog. Reisevorleistungen in Anspruch, ergeben sich besondere Rechtsfolgen bei der Bestimmung des Orts der Leistung, der Anwendung von Steuerbefreiungen und der Ermittlung der Bemessungsgrundlage.
Regelungen zu den Reiseleistungen stellen kein Wahlrecht dar
Nachdem der EuGH festgestellt hatte, dass die nationale Umsetzung des § 25 UStG gegen die unionsrechtlichen Vorgaben verstieß, wurde zum Dezember 2019 die Anwendung der Regelungen auch bei Leistungen gegenüber Unternehmern für Zwecke ihres Unternehmens gesetzlich vorgeschrieben. Liegen alle Tatbestandsvoraussetzungen vor, sind die Vorschriften über die Besteuerung von Reiseleistungen zwingend anzuwenden, es gibt kein Wahlrecht zum Verzicht auf diese Sonderregelungen.
- Differenzbesteuerung: Die Differenzbesteuerung kommt zur Anwendung, wenn ein sog. Wiederverkäufer einen Gegenstand, den er im Gemeinschaftsgebiet ohne Umsatzsteuer gekauft hatte, veräußert. In diesem Fall bestimmt sich die Bemessungsgrundlage aus der Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Einkaufspreis abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer.
Sonderregelungen sind nicht auf bestimmte Unternehmertypen beschränkt
Neben Unternehmern, die typischerweise Leistungen i. S. d. Sonderregelungen ausführen (z. B. Reiseveranstalter, Gebrauchtfahrzeughändler), kann es auch immer regelbesteuerte Unternehmer geben, die mit Einzelumsätzen Leistungen dieser Art ausführen. Insbesondere in diesen Fällen wird die Anwendung der Sonderregelungen leicht übersehen.
Bei einer anderen Sonderregelung besteht auch die Gefahr, dass sie übersehen wird und somit nicht alle Vorteile für den Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden können: In bestimmten Fällen kann eine begünstigte Einrichtung (z. B. ein gemeinnütziger Verein) seine Vorsteuerbeträge pauschalieren und damit nicht nur verwaltungstechnische Vereinfachungen in Anspruch nehmen, teilweise kann sich dadurch auch ein wirtschaftlicher Vorteil ergeben.
Allgemeine Durchschnittssatzbesteuerung seit 2023 aufgehoben
Für Besteuerungszeiträume bis einschließlich 2022 konnten Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen eine allgemeine Pauschalierung ihrer Vorsteuerbeträge in Abhängigkeit von der Höhe ihrer Ausgangsumsätze vornehmen.
Diese an sich gute Vereinfachungsregelung ist zum 1.1.2023 ersatzlos aufgehoben worden, da zu wenige Unternehmer von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht hatten.
2 Fall: Der Verkauf des Gebrauchtgeräts
2.1 Sachverhalt
Unternehmer U betreibt in Hamburg den Handel mit Medizintechnik. Insbesondere stattet er Arztpraxen mit medizinischen Geräten aus. Im März 2022 hatte er an eine orthopädische Praxis ein neues digitales Röntgengerät verkauft. Wegen Erweiterung der Praxis war der Orthopäde im August 2023 an U mit der Bitte herangetreten, ein neues, leistungsstärkeres Gerät zu liefern und das 2022 gelieferte Gerät auf den Kaufpreis anzurechnen. Entsprechend den Absprachen lieferte U im September 2023 das neue Gerät und nahm das alte Gerät mit. Die Rechnung erstellte er wie folgt:
Lieferung digitales Röntgensystem – komplett |
150.000 EUR |
Aufbau, Anschluss und Einweisung |
5.000 EUR |
Zwischensumme |
155.000 EUR |
zzgl. 19 % Umsatzsteuer |
29.450 EUR |
Gesamtbetrag |
184.450 EUR |
abzgl. Anrechnungsbetrag für Altgerät |
30.000 EUR |
Restzahlung |
154.450 EUR |
Im Oktober 2023 gelingt es U, das Altgerät für 33.000 EUR an einen anderen Arzt zu verkaufen.
2.2 Fragestellung
U möchte wissen, welche umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen sich aus diesen Gesc...