Rz. 324

[Autor/Stand] Die Reaktionen des Schrifttums auf die ab 1.1.2009 anzuwendenden Neuregelungen durch das ErbStRG 2009[2] und deren Verfassungsmäßigkeit zeigten ein geteiltes Meinungsbild. Auffallend war die relativ große Zahl der kritischen Stimmen.[3] Weinmann[4] führte aus, dass die Entscheidung des BVerfG v. 7.11.2006[5] dem Gesetzgeber als "Steilvorlage" für eine durchgreifende Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts hätte dienen können, weil die Vorgabe der Bewertung des Vermögensanfalls mit den gemeinen Werten und die dadurch verbreiterte Bemessungsgrundlage es erlaubt hätte, das erwünschte Steueraufkommen (von jährlich ca. 4 Mrd. EUR) unter Verzicht auf zahlreiche Sonderregelungen bei wesentlich niedrigeren Steuersätzen zu sichern. Diese Chance sei vertan worden, weil die Beharrungskräfte, die sich für eine Zementierung der Sonderprivilegien für Einzelne eingesetzt hätten, zu stark gewesen seien.[6] Gerade weil es dem Gesetzgeber wichtiger gewesen sei, die Wünsche einzelner Interessengruppen zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen und nicht nach einem eigenen stimmigen Konzept für eine sachgerechte Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung gesucht habe, könne niemand mit dem neuen Recht zufrieden sein.[7]

 

Rz. 325

[Autor/Stand] In ähnlicher Weise hatte auch Hübner[9] die "Hochsteuerkonzeption" bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung der Unternehmensnachfolge kritisiert. Bei den möglichen, den Forderungen der Unternehmensverbände Rechnung tragenden Steuerverschonungen dürfe nicht übersehen werden, dass sich die Regelsteuerbelastung dramatisch erhöht habe. Diese Last sei, auch wenn eine Steuerverschonung angestrebt und beantragt werde, als latente Steuerbelastung ein spürbarer Nachteil für die Unternehmen, die sich bis in das Kreditrating hinein auswirke. Die Unternehmen seien auf "Gedeih und Verderb" darauf angewiesen, die Voraussetzungen der Verschonungstatbestände (vgl. insb. § 13a ErbStG in der Fassung des ErbStRG 2009) zu erfüllen.[10]

 

Rz. 326

[Autor/Stand] Kritisiert[12] wurden des Weiteren die hohen Steuersätze in der Steuerklasse II, die im Jahr 2009 mit denen der Steuerklasse III identisch waren.[13] Insoweit hatte der Gesetzgeber freilich schon im Wachstumsbeschleunigungsgesetz[14] – allerdings ohne Rückwirkung, sondern erst mit Wirkung ab 1.1.2010 – Abhilfe geschaffen. Fraglich war aber, ob der Gesetzgeber zur Anordnung einer Rückwirkung der im Wachstumsbeschleunigungsgesetz getroffenen Neuregelung der Steuersätze der Steuerklasse II im Hinblick auf das familiäre Näheverhältnis und das damit tangierte "Familienprinzip" der Erbschaftsteuer von Verfassungs wegen verpflichtet war.[15] Dies hatte der BFH in seinem Vorlagebeschluss v. 27.9.2012[16] verneint.

[Autor/Stand] Autor: Dötsch, Stand: 01.06.2020
[2] BGBl. I 2008, 3018 = BStBl. I 2009, 140.
[3] Vgl. z.B. Seer, GmbHR 2009, 225; Crezelius ZEV 2009, 1 (2); Spiegelberger/Wartenburger, ErbStB 2009, 98; Steiner, Das neue Erbschaftsteuerrecht, 7 ff.; Piltz in Festschrift Schaumburg, 2009, S. 1057 ff.; Piltz, DStR 2010, 1913; Weinmann, ErbStG, Einf. Rz. 24 ff.(Stand 2012); Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, BewG, 2. Auflage, Einleitung, Rz. 18; Hübner, Erbschaftsteuerreform 2009, Rz. 384 ff.; Hübner, Ubg 2009, 1; Moench/Albrecht, Erbschaftsteuer, 2. Aufl., Rz. 16 und 779.
[4] Weinmann, ErbStG, Einf. Rz. 24 (Stand 2012).
[6] Weinmann, ErbStG, Einf. Rz. 24 (Stand 2012).
[7] Weinmann, ErbStG, Einf. Rz. 27 (Stand 2012).
[Autor/Stand] Autor: Dötsch, Stand: 01.06.2020
[9] Hübner, Erbschaftsteuerreform, 2009, S. 384 ff.; Hübner, Ubg 2009, 1 ff.
[10] Hübner, Ubg 2009, 1 (2).
[Autor/Stand] Autor: Dötsch, Stand: 01.06.2020
[12] Hübner, Ubg 2009, 1 (2).
[13] Vgl. § 19 ErbStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 18 ErbStRG v. 24.12.2008.
[14] V. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950 = BStBl. I 2010, 2.
[15] Vgl. auch die Argumente, die der Antragsteller in dem dem BFH-Beschl. v. 1.4.2010 – II B 168/09, BStBl. II 2010, 558 zugrunde liegenden Fall zur Begründung seines AdV-Antrages vorgebracht hatte. Der BFH brauchte in dem vorgenannten Beschluss zu der in Rede stehenden Verfassungsrechtsfrage nicht Stellung zu nehmen.

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