Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Gelangen Gegenstände i. Z. m. einer Beförderungs- oder Versendungslieferung in das Drittlandsgebiet, kann unter weiteren Voraussetzungen eine Ausfuhrlieferung vorliegen, die dann nach § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG steuerfrei ist. Werden die Gegenstände nicht für unternehmerische Zwecke erworben und im persönlichen Reisegepäck in das Drittlandsgebiet ausgeführt, ergaben sich schon bisher nach § 6 Abs. 3a UStG zusätzliche Voraussetzungen:
- Der Leistungsempfänger muss seinen Wohnort oder Sitz im Drittlandsgebiet haben und
- der Gegenstand der Lieferung muss vor Ablauf des 3. Kalendermonats, der auf den Monat der Lieferung folgt, ausgeführt werden.
Zum 1.1.2020 ist nun gesetzlich zusätzlich geregelt worden, dass der Gesamtwert der Lieferung (einschließlich Umsatzsteuer) 50 EUR übersteigen muss (§ 6 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 UStG).
Die Regelung ist eine "Notmaßnahme" um die ausufernden Ausfuhrlieferungen insbesondere im Grenzverkehr zur Schweiz einzudämmen. Die geplante Einführung eines elektronischen Ausfuhrverfahrens ist derzeit wohl auf Eis gelegt worden bzw. verzögert sich. Es ist aber schon gesetzlich geregelt, dass die Wertgrenze wieder zum Ende des Jahres außer Kraft tritt, in dem die Ausfuhr- und Abnehmernachweise in Deutschland erstmals elektronisch erteilt werden. Wann (und ob) dies eintreten wird, ist aber nicht absehbar.
Die Finanzverwaltung nimmt zu der neu eingeführten Wertgrenze Stellung und ergänzt insoweit die Ausführungen in Abschn. 6.11 UStAE. Insbesondere ist Folgendes zu beachten:
- Für die Prüfung der Wertgrenze ("mehr als 50 EUR") ist der Rechnungsbetrag maßgeblich. Nebenleistungen gehen ebenso in die Prüfung mit ein wie auch Pfandgelder.
- Für die Prüfung der Wertgrenze kommt es nicht darauf an, ob die Gegenstände evtl. aus anderen Gründen von der Begünstigung ausgeschlossen sind (z. B. Gegenstände zur Ausrüstung oder Versorgung von Beförderungsmitteln).
- Für die Prüfung der Wertgrenze ist auf die einzelne Rechnung abzustellen. Eine Zusammenrechnung mehrerer Rechnungen (auch desselben Unternehmers) ist nicht zulässig.
- Ändert sich die Bemessungsgrundlage nachträglich (z. B. bei Reklamationen, Umtausch etc.), wirkt dies für die Wertgrenze. Fällt damit der Gesamtwert auf 50 EUR oder darunter, liegt keine Ausfuhrlieferung vor. Eine Ausnahme besteht ausdrücklich aber bei Pfandrückgaben: Hier soll aus Vereinfachungsgründen die Minderung unbeachtlich sein.
Die Finanzverwaltung weist auch noch auf 2 Probleme hin, zu denen sie sich an anderer Stelle noch nicht geäußert hatte: Bei einem Einzweckgutschein kann aus Sicht der Finanzverwaltung grundsätzlich keine Ausfuhrlieferung angenommen werden, da eine ruhende Lieferung vorliegt. Bei einem Mehrzweckgutschein liegt eine Lieferung erst im Moment der Einlösung vor, sodass die neue Wertgrenze auch bei Einlösung eines vor dem 1.1.2020 veräußerten Mehrzweckgutscheins anzuwenden ist.
Konsequenzen für die Praxis
Die gesetzliche Ergänzung zum 1.1.2020 wird vornehmlich den Reiseverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz betreffen. Ausfuhrlieferungen können dann nur noch vorliegen, wenn der Gesamtwert der Lieferung (mit Umsatzsteuer und allen Nebenkosten) mehr als 50 EUR ausmacht. Privatkunden aus dem Drittlandsgebiet werden so ihre Einkäufe ab dem 1.1.2020 bündeln, um weiterhin in den Genuss der Steuerbefreiung als Ausfuhrlieferung zu kommen. Wird die Wertgrenze von 50 EUR nicht überschritten, wird die Zollverwaltung keinen Abnehmernachweis und keinen Ausfuhrnachweis erteilen.
Unbenommen bleibt davon aber das Recht des jeweiligen Drittstaats, die Lieferungen den im Bestimmungsstaat geltenden Regelungen für die Einfuhrumsatzsteuer zu unterwerfen. Insoweit wird es in diesen Fällen zu einer Doppelbesteuerung kommen.
Die Regelung basiert auf Art. 48 Satz 1 MwStSystRL-DVO, nach der eine Wertgrenze von bis zu 175 EUR vorgesehen werden kann.
Die Regelung betrifft nicht nur die Abnehmer. Auch Unternehmer dürfen gegenüber ihren Kunden keine Steuerbefreiung als Ausfuhrlieferung mehr erfassen, wenn nicht die Voraussetzungen vorliegen. Dies kann (in extremen Fällen) sogar zu einer Nachzahlung durch den Kunden führen.
Ende Februar 2020 verkauft Unternehmer U aus Singen (DE) an einen privaten Kunden K aus der Schweiz verschiedene Kleidungsstücke für 45 EUR zuzgl. 19 % USt (= 8,55 EUR). Den Bruttobetrag von 53,55 EUR zahlt K bei Einkauf. Bei Übertritt in die Schweiz lässt sich K auf dem Ausfuhrkassenzettel sowohl den Abnehmernachweis als auch den Ausfuhrnachweis erteilen. Anfang März 2020 lässt sich K von U bei einem nächsten Einkauf die 8,55 EUR nach Vorlage der Nachweise erstatten. Aufgrund einer Reklamation wird Anfang April 2020 ein Kleidungsstück zurückgenommen und dem K der Kaufpreis (auf Bruttobasis) von 5 EUR erstattet.
Da der Gesamtwert der Lieferung jetzt nicht mehr als 50 EUR ausmacht (jetzt nur noch 48,55 EUR), liegt keine Ausfuhrlieferung mehr vor, die Li...