Leitsatz
Behält die Prüfungsbehörde ein vom Prüfling angefertigtes Konzept für seinen mündlichen Vortrag und seine Mitschrift des Prüfungsablaufs ein und vernichtet diese vor Bestandskraft der Prüfungsentscheidung, kann der Prüfling Anspruch auf Wiederholung der mündlichen Prüfung haben, sofern er glaubhaft macht, dass ihn die Vernichtung dieser Unterlagen in seinen Möglichkeiten, Rechtsschutz gegen die Bewertung seiner Leistungen zu erlangen, wesentlich beeinträchtigt.
Normenkette
Art. 19 Abs. 4 GG, § 28 Abs. 1 S. 2, § 29, § 31, § 32 S. 1 DVStB
Sachverhalt
Die Leistungen eines Prüflings in der mündlichen Prüfung waren vom Prüfungsausschuss so schlecht bewertet worden, dass dieser die Prüfung nicht bestand. Der Prüfungsausschuss verlangte nach Bekanntgabe dieses Ergebnisses von dem Prüfling sein Konzept für den Aktenvortrag und eine von diesem gefertigte Mitschrift über die Prüfung heraus.
Gegen die Prüfungsentscheidung wurde Klage erhoben, mit der sich der Prüfling gegen die Bewertung seiner mündlichen Prüfungsleistungen wandte. Die Vernichtung seiner über die Prüfung angefertigten Unterlagen – Manuskript für den Aktenvortrag und Protokoll des weiteren Verlaufs der mündlichen Prüfung –, deren Herausgabe nach Bekanntgabe des Ergebnisses vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses verweigert worden sei, stelle eine vorsätzliche Beseitigung von Beweismitteln dar. Die Vernichtung vereitele eine effektive gerichtliche Kontrolle, weshalb die Prüfung zu wiederholen sei.
Entscheidung
Der BFH hat das klagabweisende Urteil des FG München (Urteil vom 01.04.2009, 4 K 424/07, EFG 2010, 824) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Angesichts des im Streitfall ganz substanziierten Vortrages des Prüfling zum Inhalt seines Aktenvortrages und zum weiteren Prüfungsverlauf sei zwar zweifelhaft, jedoch noch einmal vom FG als Tatsachengericht zu beurteilen, ob der Prüfling wirklich glaubhaft geltend machen könne, durch die Vernichtung der genannten Unterlagen in seiner Rechtsverteidigung wesentlich beeinträchtigt worden zu sein.
Hinweis
1. Ein zur Vorbereitung eines Aktenvortrags angefertigtes Konzept sowie ein vom Prüfling während der Prüfung erstelltes Protokoll über deren Verlauf sind für ein Rechtsschutzverfahren wegen der Bewertung der Prüfungsleistungen zweifelhafte Dokumente, jedoch nicht etwa von vornherein ohne Bedeutung, weil solche Unterlagen keinen "sicheren" Nachweis über die Leistungen des Prüflings erbrächten. Solche Unterlagen sind vielmehr unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten für ein Rechtsschutzbegehren tauglich:
Zunächst als Beweismittel. Denn weder die Notizen, die der Prüfling für seinen Kurzvortrag erstellt hat, noch seine Mitschrift des Prüfungsablaufs sind für eine spätere Rekonstruktion des Prüfungsablaufs völlig ungeeignet. Sie sind vielmehr grundsätzlich geeignet, Beweis für seinen Vortrag und den Prüfungsablauf zu erbringen. Zwar erbringt ein Konzept für den Aktenvortrag Beweis lediglich für eine Indiztatsache, nämlich dass sich der Prüfling entsprechend vorbereitet hatte. Der Tatrichter mag deshalb aufgrund des Konzepts keine Gewissheit zu gewinnen, was der Prüfling tatsächlich vorgetragen hat. Aber darüber muss er sich Gedanken machen und diese im Urteil darstellen.
Für ein Prüfungsprotokoll gilt Ähnliches: Auch dieses muss der Tatrichter als Beweismittel (für die Tatsache, wie der Prüfling während der Prüfung deren Ablauf wahrgenommen hat) würdigen. Ob dabei eine Würdigung, die auch dem Protokoll jede wesentliche Beweiskraft abspricht, sich in den Grenzen hielte, die der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung gesetzt sind, hat der BFH offen gelassen.
Zweitens haben die von einem Prüfling über seinen Kurzvortrag und den Prüfungsablauf angefertigten Unterlagen noch eine andere Bedeutung. Und zwar insbesondere für ein etwaiges Überdenkungsverfahren, aber auch für ein sich daran ggf. anschließendes Klageverfahren.
Nach der Rechtsprechung (vgl. BFH, Urteil vom 21.01.1999, VII R 35/98, BFH/NV 1999, 1043) wird nämlich von einem Prüfling, will er die Bewertung seiner Prüfungsleistungen angreifen, eine substanziierte Begründung seiner Einwendungen verlangt. Diese kann er naturgemäß umso besser liefern, wenn er den Prüfungsablauf genau rekonstruiert. Vorgenannte Unterlagen werden ihm dabei in der Regel behilflich oder für ihn sogar unentbehrlich sein. Das Gebot der Verfahrensfairness und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gebieten deshalb im Regelfall, solche Unterlagen nicht vor Bestandskraft der Prüfungsentscheidung zu vernichten, wenn die Prüfungsbehörde sie herausverlangt und einbehalten hat. Zwar verpflichtet sie das Gesetz nicht zur Aufbewahrung von Notizen des Prüflings. Wenn jedoch die Prüfungsbehörde gleichwohl die vom Prüfling angefertigten Unterlagen zu den Prüfungsunterlagen nimmt, darf sie sie nicht sogleich vernichten. Tut sie es dennoch vor Bestandskraft der Prüfungsentscheidung, steht dem Prüfling grundsätzlich ein Anspruch auf Wiederholung der mündlichen Prüfung zu, wenn er glaubhaft macht...