Zugrundelegung der Verwaltungsanweisungen: Soweit V sich bei der Korrektur der Steuerschuld auf seine Gutgläubigkeit berufen würde, wäre zu überlegen, ab wann diese ggf. wegfällt. Hierbei wäre zu berücksichtigen, dass die Steuerpflichtigen der mehrwertsteuerlichen Beurteilung ihrer Umsätze (d.h. bei der Erstellung der zugrunde liegenden Vereinbarungen) im Allgemeinen zugrunde legen, was die Verwaltungsrichtlinien vorgeben. Diese Regelungen sind häufig bei Zweifelsfragen das einzige, woran sie sich orientieren können, um Rechtssicherheit im Verhältnis zu ihrem Finanzamt zu erlangen.
Allgemeiner Vertrauensschutz: Insofern kommt Verwaltungsanweisungen auch eine vertrauensschützende Wirkung zu. Sie erzeugen zwar zunächst einmal lediglich eine interne Bindung für die Verwaltung selbst. Von der Bindungswirkung ist aber der Vertrauensschutz zu unterscheiden, den sie im Außenverhältnis erzeugen. Dieser ergibt sich nicht nur aus der Rechtsprechung des EuGH und des BFH bzw. aus der verfassungsrechtlichen Bindung der Finanzverwaltung. Für das Vorliegen eines solchen Vertrauensschutzes spricht vielmehr speziell im Mehrwertsteuerrecht auch, dass es sich um eine Steuer handelt, bei der die Steuerpflichtigen als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse fungieren" und die Steuer im Wege der Selbstveranlagung erhoben wird. Die "Steuereinnehmer" müssen sich auf die Vorgaben verlassen dürfen, die ihnen der "Geschäftsherr" (also die Finanzverwaltung) macht.
Solange also die Verwaltungsanweisungen (hier Abschn. 4.12.10. UStAE) nicht geändert sind (bzw. bis zu gerichtlichen Entscheidungen, die ihnen eindeutig widersprechen), müsste V für die Zwecke der Korrektur der gem. § 14c Abs. 1 S. 1 UStG entstandenen Steuer als gutgläubig angesehen werden. Einer anderen Sichtweise stünden die allgemeinen Prinzipien des Vertrauensschutzes entgegen, die sich aus den Verwaltungsanweisungen ergeben. V muss davon ausgehen können, dass diese Grundsätze gem. Art. 108 Abs. 7 GG bei der Besteuerung seiner Umsätze zugrunde gelegt werden.
Kein Wegfall des Vertrauensschutzes wg. Vorlagebeschluss: Unbeachtlich ist, dass der BFH dem EuGH die Frage nach der Einheitlichkeit der Leistung bereits mit Beschluss vom 26.5.2021 vorgelegt hat. Zum einen hatte die entsprechende BFH-Rechtsprechung über mehrere Jahrzehnte Bestand und kritische Fragen hinsichtlich ihrer Richtigkeit hat es immer wieder gegeben. Wie sollte also ein Steuerpflichtiger erkennen, dass gerade diese Vorlage in Zukunft zu einer Änderung führen wird?
Zum anderen ist Folgendes zu beachten: Würde man aus der Vorlage des BFH vom 26.5.2021 bereits folgern, dass die Gutgläubigkeit nicht mehr gegeben ist, stünde der von der Finanzverwaltung beauftragte Steuereinnehmer ab diesem Zeitpunkt wieder ohne Vorgaben da. Schlimmer noch: Er hätte Vorgaben (den UStAE), auf die er aber nicht vertrauen können soll. Hier wäre der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet: Dem Steuerpflichtigen würde zum einen vorgegeben, es existiere ein "Aufteilungsgebot". Stellte sich später heraus, dass die Vorgaben fehlerhaft waren, würde ihm vorgehalten, er sei nicht mehr gutgläubig gewesen.
Insbesondere bei Korrektur gg. den Willen des V: Im vorliegenden Fall käme noch hinzu, dass V noch nicht einmal unbedingt selbst entschieden hat, dass er seine Steuer berichtigen will. Die Korrektur ist vielmehr die Folge dessen, dass M die Rückzahlung der MwSt-Beträge fordert.
V könnte sich bei einer Korrektur seiner Steuer also zumindest bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH vom 4.5.2023 bzw. der Rechtskraft der (Nachfolge-)Entscheidung(en) der nationalen Gerichtsbarkeit, u.E. aber sinnvollerweise bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Verwaltungsanweisungen geändert werden, auf Gutgläubigkeit berufen.