Leitsatz
1. Die Einkommensteuerschuld, die aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert, ist als sonstige Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren.
2. Diese Einkommensteuerschuld ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen (Aufgabe der anderslautenden Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 29.3.1984, IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602, unter 3.).
Normenkette
§ 1 Satz 2, § 53, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 1, § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO, § 4a Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, §§ 14, 16 EStG
Sachverhalt
Nach Eröffnung über das Vermögen eines Landwirts veräußerte der Insolvenzverwalter u.a. das Betriebsgrundstück im Einverständnis mit den im Grundbuch gesicherten Gläubigern im Jahr 2006. Von dem im Jahr 2007 gezahlten Kaufpreis von 155.000 EUR blieben nach Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger nur noch ca. 5.000 EUR für die Insolvenzmasse übrig.
Das FA berücksichtigte bei Erlass des ESt-Bescheids 2006 den Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Grundstücks und setzte eine ESt von ca. 19.000 EUR fest. Gegen den ihm bekannt gegebenen ESt-Bescheid erhob der Insolvenzverwalter erfolglos Einspruch. Das FG gab der Klage statt, weil nur der zur Masse gelangte Veräußerungserlös und dieser außerdem erst im Jahr 2007 zu berücksichtigen sei (FG Düsseldorf, Urteil vom 2.2.2011, 7 K 3953/10 E, Haufe-Index 2882684, EFG 2011, 1920).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Das FG habe zwar dem Grunde nach zutreffend die ESt auf den Veräußerungsgewinn als Masseverbindlichkeit angesehen. Der Höhe nach sei die Verbindlichkeit aber nicht auf den der Masse zugeflossenen Erlös beschränkt. Der Veräußerungsgewinn sei außerdem im Jahr 2006 entstanden.
Hinweis
1. Die Entscheidung enthält eine bedeutsame und aus Sicht der Insolvenzverwalter nachteilige Korrektur der bisherigen BFH-Rechtsprechung, indem auf die Insolvenzmasse nun höhere ESt-Schulden zukommen können (dazu unter 3.). Aus insolvenzrechtlicher Sicht war im Schrifttum zwar auch eine Kurskorrektur des BFH gefordert worden; sie sollte aber in die entgegengesetzte Richtung gehen. Dieser Forderung erteilt der BFH eine Absage (nachstehend unter 2.).
2. ESt-Schulden eines Insolvenzschuldners sind nicht bevorrechtigte Insolvenzforderungen des Fiskus, soweit sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Die "Entstehung" ist dabei allerdings nicht steuerrechtlich im Sinne der Entstehung der Steuerschuld, sondern insolvenzrechtlich zu verstehen. Das bedeutet, dass der Zeitpunkt entscheidend ist, in dem der Rechtsgrund für den abstrakten Steueranspruch gelegt ist. Der BFH stellt dafür auf die Verwirklichung des Besteuerungstatbestands ab. Im Fall der Veräußerung eines Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens kommt es danach auf den Zeitpunkt an, in dem der Gewinn realisiert ist.
Wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Gewinn durch Aufdeckung stiller Reserven erzielt, die teilweise schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen waren, soll nach überwiegender Meinung des insolvenzrechtlichen Schrifttums zwischen den vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufenen stillen Reserven unterschieden werden. Die ESt auf zuvor aufgelaufene stille Reserven soll Insolvenzforderung sein, sodass nur die später entstandenen stillen Reserven zu einer bevorzugt zu erfüllenden Masseverbindlichkeit führen würden. Diese Ansicht lehnt der BFH ausdrücklich ab, weil Rechtsgrund der Forderung der Realisationsakt sei, der sich nach der Insolvenzeröffnung ereigne. Damit führen Gewinne aus der Veräußerung von Betriebsvermögen durch den Insolvenzverwalter in vollem Umfang zu einer aus der Masse zu befriedigenden ESt-Verbindlichkeit.
3.Wird Vermögen veräußert, für das ein Absonderungsrecht besteht (insbesondere grundpfandrechtsbelastete Grundstücke), müssen aus dem Veräußerungserlös zunächst die Ansprüche der absonderungsberechtigten Gläubiger (meist Geldinstitute) befriedigt werden. Nur was danach vom Veräußerungserlös übrig bleibt, erhöht die Insolvenzmasse.
Aus einkommensteuerlicher Sicht spielt es keine Rolle, inwieweit Gläubiger aus dem Erlös zu befriedigen sind: Der Gewinn ergibt sich bei Betriebsvermögen allein aus der Differenz zwischen Buchwert und Veräußerungspreis. Die Höhe der ESt ist also unabhängig davon, welcher Betrag am Ende die Insolvenzmasse erhöht.
Muss nun die ESt aus der Insolvenzmasse gezahlt werden und ist die Steuerschuld höher als der zur Masse gelangte Restbetrag, führt die Veräußerung per Saldo sogar zu einer Minderung der Insolvenzmasse. Dies hatte der BFH früher für ausgeschlossen gehalten...