Leitsatz
Der in § 9 Nr. 3 GewStG verwendete Begriff der Betriebsstätte bestimmt sich nicht nach der Definition des jeweils einschlägigen DBA, sondern nach innerstaatlichem Recht (Bestätigung von BFH-Urteil vom 5. Juni 1986, IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659; Abweichung von AEAO zu § 12 Tz. 4; BMF-Schreiben vom 31. Januar 2014, BStBl I 2014, 290, zuletzt geändert durch BMF-Schreiben vom 26. Januar 2016, BStBl I 2016, 155).
Normenkette
§ 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG, § 12 AO, Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985
Sachverhalt
Die klagende GmbH hat ein Einkaufsbüro in der Türkei; sie vermittelt für eine weitere GmbH deren gesamten dortigen Wareneinkauf. Außer den hieraus erlösten Vermittlungsprovisionen erzielte sie keine weiteren Umsätze. In ihrer Steuererklärung hat sie das Büro als nicht im Inland belegene Betriebsstätte i.S.v. § 9 Nr. 3 GewStG und § 12 AO angesehen (Kürzung des Gewerbeertrags um das Ergebnis des Büros). Das FA war unter Hinweis auf die Betriebsstätten-Definition in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 anderer Meinung. Die Klage beim FG war erfolglos (FG Köln, Urteil vom 7.5.2015, 10 K 73/13, Haufe-Index 8299370, EFG 2015, 1558).
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.
Hinweis
1. Kernpunkt des Rechtsstreits ist, ob das Tatbestandsmerkmal "Betriebsstätte" in § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG durch nationales Recht (§ 12 AO) oder Abkommensrecht (Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985) auszufüllen ist. Das war von Bedeutung, weil zwar eine "Ein- oder Verkaufsstelle" (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO) vorlag, aber der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff im Streitfall nicht erfüllt war: Nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 (nun im Wesentlichen gleichlautend: Art. 5 Abs. 4 Buchst. d DBA-Türkei 2011) "gilt" nicht als Betriebsstätte "eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen". Wenn aber keine ausländische Betriebsstätte vorliegt, gibt es für die inlandsbezogene GewSt (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 3 GewStG) keine Kürzung bei der Gewerbeertragsermittlung (§ 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG), sodass der gesamte Gewerbeertrag der GewSt unterliegt.
2. Grundlage der Ermittlung des Gewerbeertrags ist der ertragsteuerliche Gewinn. Insoweit ist zwar grundsätzlich eine abkommensrechtliche Steuerfreistellung (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Türkei 1985 bzw. Art. 22 Abs. 2 Buchst. a DBA-Türkei 2011 – jeweils i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985/2011) zu beachten –, die Voraussetzungen lagen aber nicht vor, da der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff nicht erfüllt war (s. unter 1.).
3. Der BFH lehnt die Auffassung des FG ab, der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff verdränge den nationalen (sei es als lex specialis oder als vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 1 AO). Da ein DBA nur regelt, in welchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll, ist der dortige Begriffsinhalt – ermittelt durch sog. abkommensautonome Auslegung – grundsätzlich nur im Rahmen des DBA anwendbar ("Für die Anwendung dieses Abkommens gilt Folgendes ...").
Dies verhindert zwar keine Übertragung auf den nationalen Rechtskreis – dieser Bezug müsste dann aber ausdrücklich angeordnet sein. Ein solcher Bezug lässt sich im Urteilsfall aus § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG nicht ableiten – und ließe sich mit Blick darauf, dass eine Auslandsberührung auch zu Nicht-DBA-Staaten vorliegen kann, nur schwerlich erklären. Daher besteht keine "Normenkonkurrenz".
Sollte AEAO zu § 12 Tz. 4 ("§ 12 AO ist nicht anzuwenden, soweit andere Rechtsvorschriften [z.B. DBA, OECD-Musterabkommen, EStG] abweichende Regelungen zum Begriff "Betriebsstätte" unterhalten") auch mit Blick auf § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG etwas anderes zu entnehmen sein, ist dies jedenfalls für die richterliche Rechtsfindung nicht bindend.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.7.2016 – I R 50/15