Sachverhalt
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob eine Vereinbarung über die Anzahlung auf in der Zukunft liegende, noch nicht konkret vereinbarte, Warenbezüge eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung zur Erlangung des Vorsteuerabzugs darstellte.
Kläger des Ausgangsverfahrens waren zwei Konzerngesellschaften, die zu verschiedenen Organschaften gehörten. Diese betrieben in den 90er Jahren Privatkrankenhäuser und verkauften Arzneimittel und Prothesen an selbst zahlende Patienten zum Nullsatz. Dies berechtigte die Kläger hinsichtlich der Vorbezüge der Arzneimittel und Prothesen, die dem Normalsatz (17,5 %) unterlagen, zum Vorsteuerabzug. Die Anwendung des Nullsatzes der Lieferungen an die Patienten war im Vereinigten Königreich lange Jahre streitig und wurde mit Wirkung vom 1.1.1998 durch Einführung einer unechten Steuerbefreiung - ohne Vorsteuerabzug - abgeschafft. In Erwartung dieser Gesetzesänderung schlossen die beiden Konzerngesellschaften mit einer Vertragspartei der jeweils anderen Organschaft Vorauszahlungsvereinbarungen. Nach diesen Vereinbarungen zahlten die Kläger ihren Vertragspartnern jeweils im Volumen von 100 Millionen GBP die Nettorechnungsbeträge auf künftig anstehende, noch nicht konkret vereinbarte Lieferungen von Arzneimitteln und Prothesen. Die Empfänger der Anzahlungen stellten in entsprechender Höhe Rechnungen unter Ausweis der Mehrwertsteure aus und die anzahlenden Parteien machten daraus den Vorsteuerabzug geltend. Da die Vertragsparteien zwar zu verschiedenen Organschaften, jedoch zum gleichen Konzern gehörten, ergab sich aus den Geschäften hinsichtlich der geschuldeten Umsatzsteuern und des Vorsteuerabzugs kein Einfluss auf den Cashflow. Die Vereinbarungen hätten aber - nach Meinung der Kläger - den Vorteil, dass die Kläger ungeachtet der am 1.1.1998 eingetretenen Rechtsänderung den Vorsteuerabzug aus den künftigen Liefergeschäften hätten geltend machen können, die aufgrund der Anzahlungsversteuerung bereits als besteuert gegolten hätten.
Die Vereinbarungen standen unter der aufschiebenden Bedingung, dass sich die zum 1.1.1998 eingetretene Rechtsänderung tatsächlich ergebe. Andernfalls konnten die Verträge gekündigt und die Rückerstattung der geleisteten Anzahlungen verlangt werden.
Wegen des Volumens der Anzahlungen wurden jeweils konzereigene Gesellschaften als Empfänger der Anzahlungen bzw. spätere Verkäufer der Arzneimittel und Prothesen zwischengeschaltet. Angesichts des finanziellen Risikos sollte die Anzahlungsvereinbarung nicht mit den etwa 700 originären Lieferanten des Konzerns geschlossen werden.
Das vorinstanzliche Gericht (VAT and Duties Tribunal, London) hatte in der Sache entschieden, dass die Vorauszahlungsvereinbarungen ausschließlich der Steuerumgehung dienten. Einziger Zweck sie die Erhaltung des Vorsteuerabzugs auf Seiten der Kläger des Ausgangsverfahrens gewesen. Die als Anzahlungsempfänger bzw. Verkäufer der Arzneimittel und Prothesen eingeschalteten konzerneigenen Gesellschaften hätten keine andere Aufgabe gehabt, als dieses Ziel zu erreichen. Von daher hätten diese Gesellschaften keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt.
Das Vorlagegericht fragte den EuGH, wie im Lichte des Sachverhalts der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. v. Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie bzw. der Lieferbegriff i.S.v. Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie auszulegen ist. Ferner wurde der EuGH gefragt, ob es ein Rechtsmissbrauchsverbot (unabhängig von der 6. EG-Richtlinie) gibt, das den Vorsteuerabzug ausschließt und, wenn ja, unter welchen Umständen dies der Fall wäre.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass im Vorlagefall die Steuer auf die Anzahlungen nicht entstehen konnte, was entsprechend den Vorsteuerabzug auf der Empfängerseite ausschließt. Für die Entstehung der Steuer auf Anzahlungen ist es nach der Entscheidung erforderlich, dass alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d. h. der künftigen Lieferung oder der künftigen Dienstleistung, bereits bekannt und somit insbesondere die Gegenstände oder die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind.
Das Urteil ist zutreffend. Da eine Anzahlungssteuer nicht entstanden war, konnte auch kein Vorsteuerabzugsrecht entstehen. Von daher musste der EuGH (anders als in den Rechtssachen C-255/02 und C-223/03) die Frage einer etwaigen rechtsmissbräuchlichen Gestaltung nicht mehr prüfen. Nach Art. 10 Abs. 2 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag, wenn Anzahlungen geleistet werden, bevor "die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistungen bewirkt ist". Anzahlungen führen somit nur zur Steuerentstehung, wenn sie für eine bestimmte Lieferung oder sonstige Leistungen entrichtet werden. Bei einem noch nicht vereinbarten Umsatzgeschäft im Zeitpunkt der Anzahlung wäre im Übrigen eine Berichtigung der Anzahlungsbesteuerung schwierig, wenn ein noch nicht vereinbartes Umsatzgeschäft später tatsächlich ...