Leitsatz
1. Wird in einem Grundlagenbescheid ein Veräußerungsgewinn festgestellt, so sind dessen Höhe und Zurechnung für das Folgeverfahren bindend. Über die persönlichen Voraussetzungen eines Freibetrags ist im Einkommensteuerverfahren zu entscheiden.
2. Ergeht ein hinsichtlich der Höhe und/oder der Zurechnung des Veräußerungsgewinns geänderter Grundlagenbescheid, so ist der Einkommensteuerbescheid auch hinsichtlich des Freibetrags diesen Änderungen anzupassen.
3. Die in einem Grundlagenbescheid vorgenommene Zurechnung ist auch dann bindend, wenn ein Veräußerungsgeschäft vor einem Erbfall zwar abgeschlossen, aber erst nach einem Erbfall wirksam wurde.
4. Ein Freibetrag ist auch in solchen Fällen nur in der Person des Erben entstanden.
Normenkette
§ 16 Abs. 4, § 34 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Die 1938 geborene Klägerin K und ihr 1935 geborene Ehemann E waren Kommanditisten einer KG. E verstarb 2006. Zuvor hatten K und E ihre Beteiligung an der KG zum 31.12.2006 gekündigt. Das Betriebs-FA der KG stellte zunächst mit Feststellungsbescheid 2006 die Veräußerungsgewinne der K sowie des E aus der KG-Beteiligung in Höhe von jeweils 71.390 EUR fest. K erklärte dementsprechend in ihrer Einkommensteuererklärung für sich selbst wie auch für E einen Veräußerungsgewinn und beantragte jeweils die Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG. Das FA entsprach dem Antrag.
2008 änderte das Betriebs-FA den Feststellungsbescheid 2006. Für K, die Alleinerbin war, wurde "als Erbin nach E" ein Veräußerungsgewinn von 0 EUR, für die K nunmehr ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 143.776 EUR festgestellt. Das FA setzte unter Berufung auf § 175 AO den Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Beteiligungen an der KG ausschließlich bei der K an und berücksichtigte nach Maßgabe von § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG lediglich einen Freibetrag in Höhe von 37.224 EUR.
Das FG hat der Klage stattgegeben, mit der K den Ansatz sowohl ihres eigenen Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 EStG als auch den des F begehrte (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.1.2013, 4 K 3278/10, Haufe-Index 3710884).
Entscheidung
Die Revision war begründet. Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nachdem das Betriebs-FA die gesonderte und einheitliche Feststellung für die KG hinsichtlich des E und der Klägerin geändert habe, sei das FA verpflichtet gewesen, nach Maßgabe dieser Änderung erneut über die Frage zu entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe ein Freibetrag zu berücksichtigen sei. Das FA habe dabei zu Recht bei der Klägerin nur noch einen einzigen Freibetrag von 37.224 EUR angesetzt.
Hinweis
1. In diesem – erst nachträglich zur Veröffentlichung vorgesehenen – Urteil hat der X. Senat zunächst den Umfang der Bindungswirkung eines Feststellungsbescheids, mit dem ein Veräußerungsgewinn festgestellt wird, in Bezug auf den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG präzisiert.
Danach ist für die Frage, inwieweit ein Feststellungsbescheid für den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG Bindungswirkung entfaltet, zwischen der Zurechnung des Veräußerungsgewinns und den für den Freibetrag maßgebenden persönlichen Verhältnissen zu unterscheiden.
2. Die sachlichen Voraussetzungen, ob ein Veräußerungsgewinn in bestimmter Höhe entstanden und wem dieser Veräußerungsgewinn zuzurechnen ist, sind nach ständiger Rechtsprechung Gegenstand des Feststellungsverfahrens und damit für das Einkommensteuerverfahren bindend. Das gilt nicht nur für die Frage, ob ein Veräußerungsgewinn bei einem bestimmten Steuerpflichtigen überhaupt anzusetzen ist, sondern auch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG. Für eine nur partielle Bindungswirkung in der Weise, dass die Höhe des dem Steuerpflichtigen zugerechneten Veräußerungsgewinns für den Ansatz dem Grunde nach bindend wäre, für die Berechnung eines etwaigen Freibetrags hingegen nicht, ist weder Anlass noch Rechtfertigung erkennbar.
Hingegen sind die persönlichen Voraussetzungen des Freibetrags (Alter, Berufsunfähigkeit, Objektbeschränkung) nicht Bestandteil der gesonderten Feststellung. Hierüber ist im Folgeverfahren zu befinden
3. Das Urteil enthält zudem die – nicht weiter verwunderliche – Aussage, dass keine Rechtsgrundlage dafür existiert, einem Steuerpflichtigen, der einen Veräußerungsgewinn erzielt hat, zwei Freibeträge zuzusprechen. Ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, dass dem Erben zusätzlich zu seinem eigenen Freibetrag ein weiterer Freibetrag zustehe, der dem Erblasser zugestanden hätte, wenn er die Realisierung des Veräußerungsgewinns noch erlebt hätte, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.6.2015 – X R 6/13