Leitsatz
Sind die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes mit einer KG als Organgesellschaft aufgrund geänderter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfüllt, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (Bestätigung des BFH-Urteils vom 16.03.2023 ‐ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89). Dies gilt auch im Rechtsbehelfsverfahren der KG gegen eine ihr gegenüber ergangene Steuerfestsetzung.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 33 Abs. 1, § 73 Satz 1, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
Sachverhalt
Gesellschafter der Klägerin, einer GmbH & Co KG, waren als einzige Kommanditistin die TL-GmbH, der 10 von 11 Stimmrechten zustehen, und als Komplementärin ohne Kapitalanteil die TLVB-GmbH.
Gesellschafter der TL-GmbH waren BS mit einer Beteiligung von 90 % sowie BJ und MB mit einer Beteiligung von jeweils 5 %. Alleingesellschafter der TLVB-GmbH war BS. Jeweils einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der TL-GmbH waren BJ und MB und bei der TLVB-GmbH BJ, MB und BS. Das FA erließ eine Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin, die daraufhin geltend machte, Organgesellschaft der TL-GmbH zu sein. Während der Einspruch ohne Erfolg blieb, gab das FG der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 23.3.2023, 5 K 232/18 U, Haufe-Index 15706064). Die Klägerin könne geltend machen, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft sei.
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Hinweis
1. Ist aufgrund einer geänderten BFH-Rechtsprechung eine Organschaft zu bejahen, stellt sich die Frage, ob Organträger und Organgesellschaft hierzu unterschiedliche Rechtspositionen dergestalt vertreten können, dass der Organträger nach der früheren, aufgegebenen Rechtsprechung zu besteuern ist, während der Besteuerung der Organgesellschaft die neue, geänderte Rechtsprechung zugrunde zu legen ist.
2. Exemplarisch lässt sich dies anhand der Eingliederung einer Personenhandelsgesellschaft betrachten. So kann eine GmbH & Co KG (KG) aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 19.1.2016, XI R 38/12, BFH/NV 2016, 706, BStBl II 2017, 567, Leitsatz 3, und BFH, Urteil vom 1.6.2016, XI R 17/11, BFH/NV 2016, 1410, BStBl II 2017, 581, Leitsatz 2) Organgesellschaft sein. Ergibt sich bei isolierter Betrachtung der Eingangs- und Ausgangsleistungen, die die KG gegenüber Dritten erbracht hat, eine Steuerschuld, kann für die KG das Interesse bestehen, die bislang bei ihr vorgenommene Besteuerung im Hinblick auf das sich aus der geänderten BFH-Rechtsprechung ergebende Bestehen einer Organschaft entfallen zu lassen. Für den Organträger besteht dann grundsätzlich die Möglichkeit, gegen Erfassung der Umsatztätigkeit der KG bei seiner Besteuerung geltend zu machen, dass er in die Beurteilung entsprechend der früheren BFH-Rechtsprechung vertraut habe, sodass Änderungsschutz nach § 176 AO zu gewähren ist.
3. Nach BFH, Urteil vom 16.3.2023, V R 14/21 (V R 45/19), BFH/NV 2023, 790, kommt dies in dieser Form nicht in Betracht. Besteht aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung eine Organschaft, liegt nur noch ein Besteuerungsverhältnis vor, bei dem das des Organträgers auch die Tätigkeit der Organgesellschaft umfasst. Im Hinblick auf dieses eine Besteuerungsverhältnis sieht es der BFH als widersprüchliches Verhalten an, wenn der Organträger seiner Besteuerung die Anwendung der alten, aufgegebenen BFH-Rechtsprechung zugrunde legen will, während seine Organgesellschaft entsprechend der neuen BFH-Rechtsprechung besteuert werden soll. Deshalb ist nach diesem Urteil eine die KG betreffende Steuerfestsetzung nur dann aufzuheben, wenn der Organträger die Berücksichtigung der KG-Umsätze bei seiner Steuerfestsetzung beantragt.
4. Hieran hält der BFH weiter fest und sieht eine an der vorstehenden Betrachtung geäußerte Kritik als nicht durchgreifend an.
5. Zu beachten ist, dass diese Rechtsprechung nicht den Umkehrfall erfasst, bei dem aufgrund einer geänderten BFH-Rechtsprechung die Organschaft entfällt. Maßgeblich ist, dass auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung zwei eigenständige Besteuerungsverhältnisse bestehen, sodass sich die Frage nach einem widersprüchlichen Verhalten nicht stellen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.9.2024 – V R 5/23