In seinem Urteil vom 9.10.1991 hatte der BFH noch ausgeführt, dass das Guthaben aus der Erhaltungsrückstellung nach dem WEG eine mit einer Geldforderung vergleichbare Vermögensposition darstellt (BFH v. 9.10.1991 – II R 20/89, BStBl. II 1992, 152). Es handele sich wirtschaftlich um Vorauszahlungen der Wohnungseigentümer auf zukünftige Instandhaltungsaufwendungen. Diese können deshalb verlangen, dass Aufwendungen für Instandsetzungen am Gemeinschaftseigentum zunächst aus der Rücklage bezahlt werden. Die insoweit bestehenden Ansprüche der Wohnungseigentümer seien zwar zweckgebunden und für die einzelnen Wohnungseigentümer nicht frei verfügbar. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass die in der Rückstellung angesammelten Mittel den einzelnen Wohnungseigentümern ihrem Anteil entsprechend im Fall des Eintritts der Kostentragungspflicht aus § 16 Abs. 2 WEG a.F. unmittelbar zugutekommen.
Dies gelte uneingeschränkt beim entgeltlichen Erwerb einer Eigentumswohnung. Denn der Erwerber einer Eigentumswohnung kann im Fall des Eintritts der Kostentragungspflicht wegen Instandhaltungsmaßnahmen zu seiner Entlastung die Verwendung der in der Instandhaltungsrückstellung angesammelten Mittel verlangen. Unter diesem Gesichtspunkt stellt der Aufwand des Erwerbers für die Übernahme einer Erhaltungsrückstellung nicht Entgelt für den Erwerb der Eigentumswohnung selbst, sondern Entgelt zur Erlangung eines möglicherweise erst zukünftig entstehenden geldwerten Anspruchs auf Bezahlung von Instandhaltungsaufwendungen aus der Rückstellung dar.
Der Erwerb eines solchen Anspruches sei nicht grunderwerbsteuerpflichtig, und zwar unabhängig von der zivilrechtlichen Vorfrage, ob es sich bei den Guthaben aus der Erhaltungsrückstellung um selbständige, vom Wohnungseigentum loslösbare Forderungsrechte oder um untrennbare Bestandteile der jeweiligen Wohnungseigentumsrechte handelt und diese deshalb an die Unauflösbarkeit der Gemeinschaft gebundene Vermögensbestandteile darstellen, die nicht als eigene Guthaben der Wohnungseigentümer anzusehen sind.
Aufgrund dieser Rspr. wurde die mit dem Kauf der Eigentumswohnung übernommene Erhaltungsrücklage aus der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage herausgenommen, was je nach Höhe der Rücklage eine mehr oder weniger deutliche Verringerung der Steuerschuld zur Folge hatte. Die Verwaltung hat die Rspr. übernommen (vgl. z.B. OFD NRW v. 10.12.2013, GrESt-Kartei NW § 9 GrEStG Karte 27) und in der Folge auch bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer die Erhaltungsrücklage als eigenständige Kapitalforderung angesetzt (vgl. z.B. OFD Frankfurt/M. v. 9.6.2020 – S 3800 A-036-St 710, FMNR336310020, juris = ErbStB 2020, 353 [Günther]).