Entgegen der vorstehende dargestellten früheren Betrachtung nach der die Erhaltungsrücklage kein Teil der grunderwerbsteuerlichen Gegenleistung ist, hat der BFH mit Urteil vom 16.9.2020 entschieden, dass beim Erwerb von Teileigentum der vereinbarte Kaufpreis als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer nicht um die anteilige Erhaltungsrücklage zu mindern ist (BFH v. 16.9.2020 – II R 49/17, BStBl. II 2021, 339 = ErbStB 2021, 70 [Marfels]). Der BFH stützt diese Entscheidung auf die Überlegung, dass die anteilige Erhaltungsrücklage Teil des Verwaltungsvermögens der Wohnungseigentümergemeinschaft und damit nicht Vermögen des Wohnungseigentümers, sondern Vermögen eines anderen Rechtssubjekts sei.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft sei ein vom jeweiligen Mitgliederbestand unabhängiger teilrechtsfähiger und parteifähiger Verband sui generis (BFH v. 2.3.2016 – II R 27/14, BStBl. II 2016, 619 = ErbStB 2016, 200 [E. Böing]); inzwischen ist die Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft auch über § 9a WEG und § 14a Abs. 2 AO eindeutig geregelt. Ihr gehöre nach § 10 Abs. 7 Satz 1 WEG a.F. (jetzt § 9a WEG) das Verwaltungsvermögen. Dieses besteht aus den i.R.d. gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gesetzlich begründeten und rechtsgeschäftlich erworbenen Sachen und Rechten sowie den entstandenen Verbindlichkeiten.
Der BFH führt weiter aus, dass eine ordnungsmäßige, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechende Verwaltung nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG auch die Ansammlung einer angemessenen Erhaltungsrückstellung, die zum Verwaltungsvermögen zählt, umfasst. Die Rückstellung dient dabei der wirtschaftlichen Absicherung künftig notwendiger Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum und wird im Wesentlichen durch Beiträge der Wohnungseigentümer angesammelt. Sie bleibt daher bei einem Eigentümerwechsel Vermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft und kann daher auch beim Eigentumserwerb durch Rechtsgeschäft und einer entsprechender Einigung von Veräußerer und Erwerber über den Übergang der Erhaltungsrückstellung nicht auf den Erwerber übergehen. Vielmehr gehe bei einer Übertragung des Wohneigentums lediglich die Mitgliedschaft an der Eigentümergemeinschaft auf den Erwerber über (BFH v. 2.3.2016 – II R 27/14, BStBl. II 2016, 619 = ErbStB 2016, 200 [E. Böing]).
Damit findet der für die Grunderwerbsteuer typische Rechtsträgerwechsel bzgl. der Erhaltungsrückstellung nicht statt. Die Wohnungseigentümer haben keinen Anteil am Verwaltungsvermögen, über den sie frei verfügen können (BFH v. 16.9.2020 – II R 49/17, BStBl. II 2021, 339 = ErbStB 2021, 70 [Marfels]). Auch wenn die Vertragsparteien vereinbart haben, dass ein Teil des Kaufpreises "für die Übernahme des in der Erhaltungsrückstellung angesammelten Guthabens" geleistet wird und der Erhaltungsrückstellung im Kaufvertrag folglich ein eigenständiger Wert zugemessen wurde, handelt es sich dabei nicht um Aufwand für die Übertragung einer geldwerten nicht unter den Grundstücksbegriff des GrStG fallenden Vermögensposition. Ein rechtsgeschäftlicher Erwerb dieser Position sei daher zivilrechtlich nicht möglich. Entsprechend gehört auch das Entgelt, das der Erwerber bei wirtschaftlicher Betrachtung für die anteilige Erhaltungsrücklage aufwendet, zu denjenigen Leistungen, die er gewährt, um das Grundstück zu erwerben.