Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rspr. ist festzustellen, dass die steuerliche Beurteilung der Erhaltungsrücklage nach dem WEG i.R.d. Grunderwerbsteuer und der Ertragsteuer deutlich auseinanderfällt:
- Während bei der Grunderwerbsteuer die Rücklage als Bestandteil des der Gemeinschaft zuzurechnenden Verwaltungsvermögens, also eine im fremden Eigentum stehendes Wirtschaftsgut qualifiziert wird,
- behandelt das Ertragsteuerrecht die Erhaltungsrücklage als Wirtschaftsgut, das anteilig dem jeweiligen Eigentümer der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuzurechnen und folglich bei selbstständig Tätigen und Gewerbetreibenden zu aktivieren ist.
Diese unterschiedliche Einstufung ist in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben. Schon das ursprüngliche Urteil des FG Köln vom 17.10.2017 (FG Köln v. 17.10.2017 – 5 K 2297/16, EFG 2018, 470 = ErbStB 2018, 173 [Günther]) mit dem die Rspr.-Änderung bei der Grunderwerbsteuer quasi eingeläutet wurde, ist nicht unwidersprochen geblieben (vgl. Bruschke, UVR 2018, 381). Allerdings war schon zuvor erkennbar, in welche Richtung hier tendiert wurde: So hat Loose diese Rechtsfolge bereits in jurisPR-SteuerR 26/2016, Anm. 5, als wahrscheinlich angesehen. Auch Fahsel (DStR 2016, 1587) hat diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen, hielt sie aber im Hinblick auf die unterschiedliche zivilrechtliche Ausgangssituation für nicht zwingend.
Gleichwohl hat sich der BFH mit seiner Entscheidung vom 16.9.2020 (BFH v. 16.9.2020 – II R 49/17, BStBl. II 2021, 339 = ErbStB 2021, 70 [Marfels]) den Ausführungen des FG angeschlossen und die eingelegte Revision als unbegründet zurückgewiesen. Da sich die Finanzverwaltung dieser Auslegung mit dem koordinierter Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.3.2021 (Oberste Finanzbehörden der Länder, Erlass v. 19.3.2021 – S 4521, BStBl. I 2021, 621 = EStB 2021, 208 [Günther]) angeschlossen hat, ist hier vorerst von einer gesicherten Rechtslage auszugehen.
In der noch anhängigen Revision zur ertragsteuerlichen Behandlung der Erhaltungsrücklage ist eine Änderung der Rspr. in Bezug auf die bilanzielle Behandlung nicht zu erwarten. Die hier vom FG Köln getroffene Regelung erscheint zutreffend und entspricht auch der jahrelangen Beurteilung. Gleichwohl hat das FG erkannt, dass sich hier eine widersprüchliche Beurteilung zur grunderwerbsteuerlichen Behandlung abzeichnet.
Beraterhinweis Für die Praxis bedeutet die unterschiedliche Rspr. Folgendes: Gibt man der grunderwerbsteuerlichen Beurteilung den Vorrang, müsste man tatsächlich von einer sofortigen Abziehbarkeit der im Kaufpreis enthaltenen anteiligen Erhaltungsrücklage ausgehen, da dann ein endgültiger Abfluss beim Wohnungseigentümer vorliegt (so i.Erg. auch Hefner/Ostermann, DStR 2021, 2052, und Ctibor, DB 2023, 990). Das müsste dann auch für die jährlichen Zuführungen zur Erhaltungsrücklage der Eigentümergemeinschaft gelten. Allerdings ist m.E. nicht die bilanzielle bzw. ertragsteuerliche Behandlung problematisch, sondern vielmehr die grunderwerbsteuerliche Einstufung (so auch Behrens, BB 2023, 2610).
Generell stellt sich hier auch die Frage, ob die unterschiedliche Betrachtung der Erhaltungsrücklage bei der Grunderwerbsteuer und den Ertragsteuern nicht einen Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung darstellt. Zwar beinhaltet dieser Grundsatz mehr die Werteeinheit bei verschiedenen Rechtsgebieten; allerdings sollte auch zwischen verschiedenen Steuerarten ein gleicher Sachverhalt auch gleichbehandelt werden. Das findet derzeit in Bezug auf die Erhaltungsrücklage erkennbar nicht statt.
Service: BFH v. 16.9.2020 – II R 49/17, ErbStB 2021, 70; BFH v. 25.4.2018 – II R 50/15, ErbStB 2018, 293; BFH v. 2.3.2016 – II R 27/14, ErbStB 2016, 200; BFH v. 5.10.2011 – I R 94/10; BFH v. 30.9.2010 – IV R 28/08; BFH v. 18.12.2002 – I R 11/02; FG Köln v. 21.6.2023 – 2 K 158/20; FG Köln v. 17.10.2017 – 5 K 2297/16, EFG 2018, 470 = ErbStB 2018, 173; Oberste Finanzbehörden der Länder, Erlass v. 19.3.2021 – S 4521; OFD Frankfurt/M. v. 9.6.2020 – S 3800 A-036-St 710, ErbStB 2020, 353 abrufbar unter steuerberater-center.de