Leitsatz
Es ist nicht klärungsbedürftig, dass der Erlass eines Kapitalertragsteuer-Haftungsbescheids für bestimmte Monate eines Kalenderjahrs nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil für vorausgegangene Monate desselben Jahrs ebenfalls ein solcher Bescheid ergangen war und dieser Bescheid nicht aufgehoben oder geändert werden kann.
Normenkette
§ 191 AO , § 44 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, deren alleinige Gesellschafterin im Streitjahr (1991) eine japanische Kapitalgesellschaft (X-Co.) war.
Im Jahr 1993 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt, die sich ausweislich der Prüfungsanordnung u.a. auf die "Kapitalertragsteuer 1988 bis 1991" bezog. Der Prüfer stellte fest, dass es im ersten Quartal 1991 zu vGA der Klägerin i.H.v. 500.000 DM gekommen war. Daraufhin erließ das FA am 16.1.1997 einen Haftungsbescheid über "Kapitalertragsteuer 1990 bzw. 1991", der unter Hinweis auf den Prüfungsbericht als "Kapitalertragsteuer 1991" einen Betrag von 166.666 DM ausweist. Der Bescheid trägt den Zusatz, die Festsetzung der Kapitalertragsteuer sei vorläufig i.S.d. § 165 Abs. 1 AO.
Im Zug einer weiteren Betriebsprüfung, die sich u.a. auf die "Kapitalertragsteuer 1992 bis 1994" erstreckte, wurde eine tatsächliche Verständigung über anzusetzende vGA getroffen. Danach sollte auf das Wirtschaftsjahr 1991/1992 ein Betrag von 1,5 Mio. DM entfallen, wobei eine zeitanteilige Aufteilung der Kapitalertragsteuer vereinbart wurde. Dem entsprechend erließ das FA am 8.12.1998 einen Haftungsbescheid über Kapitalertragsteuer, in dem es "Kapitalertragsteuer 1991 (1.4. bis 31.12.)" i.H.v. 281.250 DM berücksichtigte.
Die gegen den zweiten Haftungsbescheid gerichtete Klage hat das FG abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Entscheidung
Der BFH lehnte das ab. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Haftungsbescheide auch bezogen auf denselben Haftungszeitraum und die dieselbe Haftungsschuld ergehen könnten, solange nur der haftungsbegründende Sachverhalt ein anderer sei.
Hinweis
1. Zu den steuerlichen "Traumata" des Geschäftsführers einer GmbH gehört mit Gewissheit seine Inanspruchnahme mittels Haftungsbescheid durch das FA für rückständige Steuerschulden der Gesellschaft, falls diese wirtschaftlich "ins Schlingern" gerät oder sogar in Insolvenz fällt. Die gesetzlichen Rechtsgrundlagen dafür finden sich einerseits in § 34, § 35 und den §§ 69 ff. AO, andererseits, was den eigentlichen Bescheid anbelangt, in § 191 AO.
2. Zu den vielen – oftmals formalen – Aspekten, an die sich hierbei das FA halten muss, um die Haftung "dingfest" zu machen, gehört es in erster Linie, die Haftungsschulden nach Steuerart und -zeiträume sauber und detailliert aufzulisten. Ferner gehören dazu etliche Begründungsanforderungen hinsichtlich des auszuübenden (und hoffentlich auch ausgeübten) Haftungsermessens.
3. Ergeht nun ein solcher Haftungsbescheid für eine bestimmte Steuerart und einen bestimmten Steuerzeitraum, so offenbaren sich dem FA später gelegentlich neue Erkenntnisse zu anderen Haftungstatbeständen für dieselbe Steuerart und denselben Steuerzeitraum. Für diesen Fall liegt es nahe, den ursprünglichen Haftungsbescheid (gem. §§ 130 ff. AO) zu ändern und den neuen Erkenntnissen "anzupassen". Die Rechtsprechung hat aber geklärt, dass dem FA auch ein anderer Weg eröffnet ist: Es kann bezogen auf den anderen (neuen) haftungsbegründenden Sachverhalt auch einen weiteren Haftungsbescheid erlassen. Der Bescheid ist insofern nicht zeitraum-, sondern sachverhaltsbezogen! Das wird vom BFH in dem Beschlussfall (über eine Nichtzulassungsbeschwerde) bestätigt.
4. Dagegen gerichtete Angriffspunkte bieten sich für den Haftungsschuldner regelmäßig nur dann, wenn es ihm gelingt, eine Identität des ursprünglichen und des nunmehrigen Haftungssachverhalts (in tatsächlicher Hinsicht) dazutun. Bejahendenfalls würde dann der 1. Haftungsbescheid für den Erlass eines 2. Bescheids eine Sperrwirkung auslösen! Ob das der Fall ist, ist Tatfrage. Auch ein vorangegangener Betriebsprüfungsbericht kann, wie der Beschlussfall zeigt, beim Nachweis helfen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 7.4.2005, I B 140/04