Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Der ermäßigte Steuersatz ist anzuwenden für die in § 12 Abs. 2 UStG abschließend aufgeführten Leistungen. Insbesondere unterliegen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bestimmte in der Anlage 2 zum UStG aufgeführte Gegenstände dem ermäßigten Steuersatz. Die in der Anlage 2 zum UStG aufgeführten Gegenstände werden regelmäßig durch Bezugnahme auf die unionseinheitlichen Zollvorschriften definiert. Diese Einordnung in den Zolltarif war bisher Voraussetzung für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes.
Im Zusammenhang mit der Lieferung von Holzhackschnitzeln hatte der BFH den EuGH angerufen, ob auch nicht unter die entsprechenden Zolltarifsnummern fallende Holzhackschnitzel, die aber auch als Brennholz Verwendung finden, unter den ermäßigten Steuersatz fallen können.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass der Begriff "Brennholz" jegliches Holz bezeichnet, das nach seinen objektiven Eigenschaften ausschließlich zum Verbrennen bestimmt ist. Die Mitgliedstaaten können die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Kategorien nach der Kombinierten Nomenklatur (zum Zollkodex) begrenzen, müssen dabei aber den Grundsatz der Neutralität beachten. Soweit die Produkte aus Sicht eines Durchschnittsbetrachters austauschbar sind, dürfen keine unterschiedlichen Steuersätze angewendet werden.
In seiner Folgeentscheidung hat der BFH entschieden, dass die Holzhackschnitzel der Steuersatzermäßigung unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz i. S. der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG darstellen. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung nicht entgegen, wenn die Holzhackschnitzel und das die zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz austauschbar sind.
Damit ist eine erst 2018 getroffene Entscheidung des BFH überholt, dass eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf aus Rohholz gewonnene Holzhackschnitzel auch nicht auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Umsatzsteuer gestützt werden kann.
Die Finanzverwaltung veröffentlicht jetzt das BFH-Urteil vom April 2022, stellt aber klar, dass diese Entscheidung ausschließlich auf die Lieferung von Holzhackschnitzeln anzuwenden ist, es sei denn, es ergibt sich aus der Art der Aufmachung oder der Menge der Abgabe beim Verkauf, dass diese nicht zum Verbrennen bestimmt sind.
Auf andere nicht in der Anlage 2 zu § 12 UStG enthaltene Waren soll diese BFH-Entscheidung nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht anzuwenden sein. Die im UStG vorgesehene Verweisung auf den Zolltarif stellt danach auch weiterhin ein unionsrechtlich als zulässig anerkanntes und grundsätzlich auch geeignetes Abgrenzungskriterium für Zwecke der Steuersatzbestimmung dar.
Konsequenzen für die Praxis
Die Finanzverwaltung reagiert zeitnah auf die Entscheidung des BFH zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei Holzhackschnitzeln, will die Reichweite der Entscheidung aber auf den Einzelfall begrenzen. Ob dies im Ergebnis gelingen wird, erscheint aber fraglich. Die Grundsätze aus der Entscheidung des EuGH sollten allgemein anwendbar sein. Ein aus Sicht eines Durchschnittsbetrachters austauschbares und den gleichen Zwecken dienendes Produkt nur aufgrund unterschiedlicher Einstufung in den Zolltarif mit unterschiedlichen Steuersätzen zu belegen, wird dem Anspruch der Steuerneutralität wohl nicht gerecht werden. Die Finanzverwaltung wird diese nur auf den Einzelfall bezogene Aussage evtl. später revidieren müssen.
Praxistipp
Für die Praxis wird es dabei für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht unbedingt einfacher und rechtssicherer. Neben der Einordnung in den zutreffenden Zolltarif müsste nun auch noch die "Austauschbarkeit" des vielleicht nicht unter einer begünstigten Zolltarifsnummer erfassten Produkts mit anderen, erfassten Produkten geprüft werden. Da die "Austauschbarkeit" auch einen nicht unerheblichen Anteil subjektiver Beurteilung enthält, wird die Rechtsunsicherheit in der Praxis durch an sich zu begrüßende Rechtsprechung des EuGH eher zunehmen – was den Wunsch der Praxis für eine klarere Struktur bei den Steuersätzen nachhaltig unterstreichen sollte.
Die Regelungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 1.1.2023 ausgeführte Lieferungen beanstandet es die Finanzverwaltung aber nicht, wenn bei den nach bisheriger Rechtsauffassung nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Holzhackschnitzeln 19 % Umsatzsteuer berechnet wurde – dies gilt entsprechend für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 4.4.2023, III C 2 – S 7221/19/10002 :004, BStBl 2023 I S. 733.