Leitsatz
Geht das FA davon aus, dass sich ein Steuerpflichtiger in einem bestimmten Land aufhält, ohne dessen dortige Anschrift zu kennen, muss es im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung wegen "unbekannten Aufenthaltsorts" gem. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. versuchen, die gültige ausländische Anschrift im Weg des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs zu ermitteln (vgl. dazu für die Streitjahre BMF-Schreiben vom 03.02.1999, BStBl I 1999, 228, für die Zeit danach vom 25.01.2006, BStBl I 2006, 26). Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung auf diesem Weg nicht möglich oder fehlgeschlagen ist, darf das FA zur öffentlichen Zustellung übergehen.
Normenkette
§ 122 Abs. 5 AO, § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F.
Sachverhalt
Im Streitjahr 2001 veräußerte der Kläger seine Anteile an einer GmbH, verzog nach Spanien und meldete sich beim deutschen Einwohnermeldeamt unter Angabe seiner neuen Anschrift in M ab. Bereits Ende 2001 zog der Kläger von M nach P (ebenfalls Spanien) um. Er meldete sich bei den spanischen Behörden in P an.
Nachdem diverse Zustellungsbemühungen in Bezug auf die Steuerbescheide für 1999 und 2000 vergeblich waren, stellte das FA die Bescheide – wirksam – öffentlich zu. In Bezug auf die Steuerbescheide für 2001 fragte das FA lediglich beim Einwohnermeldeamt nach, ob diesem zwischenzeitlich eine andere Anschrift des Klägers bekannt geworden sei, was verneint wurde. Weitere Ermittlungen unternahm das FA nicht, sondern stellte den ESt-Bescheid öffentlich zu.
In dem Einspruchs- und Klageverfahren ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Steuerbescheide 2001 wirksam öffentlich zugestellt worden waren, was vom FG (FG Köln, Urteil vom 18.10.2006, 10 K 2019/05, Haufe-Index 1675807, EFG 2007, 158) verneint wurde.
Entscheidung
Der BFH sah das ebenso: Das FA hätte vor der öffentlichen Zustellung über das damals zuständige BfF an die zuständigen spanischen Behörden ein Auskunftsersuchen oder eine Voranfrage richten müssen, um die Anschrift des Klägers in Spanien zu ermitteln, da hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass sich der Kläger tatsächlich noch in Spanien aufgehalten habe. Eine Anfrage bei dem BfF sei zumutbar gewesen, da ein solches Ersuchen über den Dienstweg nach Auffassung des BFH kaum mehr Aufwand erfordere als eine Anfrage bei einem deutschen Einwohnermeldeamt. Erst wenn das Auskunftsersuchen ergeben hätte, dass die Anschrift des Klägers auch auf diese Weise nicht zu ermitteln gewesen wäre, hätte das FA öffentlich zustellen dürfen.
Hinweis
Welche Zustellungsversuche ins Ausland muss ein FA unternehmen, bevor es wirksam öffentlich zustellen darf? Diese Frage hatte der X. Senat im vorliegenden Urteil zu beantworten.
1. Ein Steuerbescheid kann gem. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO öffentlich zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers "unbekannt" ist.
2. Diese Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. setzte deshalb voraus, dass nicht nur der zustellenden Behörde die Anschrift des Zustellungsempfängers unbekannt, sondern dessen Aufenthaltsort allgemein unbekannt war. Die öffentliche Zustellung ist erst als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln.
3. Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an die Behörde, den Aufenthaltsort des Adressaten ermitteln zu müssen, im Einzelfall jedoch nicht überspannt werden.
4. So wird eine Rechtspflicht der zustellenden Behörde, Anschriften im Ausland zu ermitteln, regelmäßig verneint, wenn sich der Empfänger beim inländischen Melderegister "ins Ausland" ohne Angabe einer Anschrift abmeldet, da das FA in diesen Fällen vorrangig nur zu Ermittlungsmaßnahmen im Inland verpflichtet ist, z.B. durch Nachfragen beim Einwohnermeldeamt und bei Kontaktpersonen des Empfängers. Gleiches gilt, wenn sich der Zustellungsempfänger in einer Weise verhält, die auf seine Absicht schließen lässt, den Aufenthaltsort zu verheimlichen.
5. Liegt ein solcher Fall nicht vor und vermutet das FA den Steuerpflichtigen in einem bestimmten Land, kann aber durch Ermittlungsmaßnahmen bei inländischen Behörden und Kontaktpersonen keine weitere Aufklärung erreichen, muss das FA alle objektiv geeignet erscheinenden, rechtlich zulässigen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs ausschöpfen.
6. Dazu gehört, dass das FA überprüft, ob ein solcher Informationsaustausch mit Behörden des vermuteten Aufenthaltsstaats möglich ist, und dass es an diese ein Auskunftsersuchen richtet, um die dortige Anschrift des Steuerpflichtigen zu ermitteln (vgl. BMF-Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen, BStBl I 1999, 228, 974, ab dem 25.01.2006, B...