Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch eine BZSt-Online-Anfrage
Hintergrund: Online-Adressdaten-Abruf beim BZSt
Streitig war, ob rückständige Steuern wegen Ablauf der fünfjährigen Zahlungsverjährung erloschen sind. Laut Abrechnungsbescheid aus 2016 wurde die Verjährungsfrist am 1.12.2015 durch eine Online-Wohnsitzanfrage beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unterbrochen.
X beantragte in 2016 den Erlass eines Abrechnungsbescheids. Mit Jahresablauf 2015 sei Zahlungsverjährung eingetreten. Denn die Ansprüche seien letztmals durch eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16.7.2010 geltend gemacht worden. Der Datenabruf beim BZSt vom 1.12.2005 habe die Verjährungsfrist nicht nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO unterbrochen. Denn dem FA sei seine Postanschrift bekannt gewesen, sodass kein Anlass zu Ermittlungen über seinen Wohnsitz bestanden habe.
Mit dem hierauf erlassenen Abrechnungsbescheid stellte das FA fest, dass die Steuerrückstände nicht durch Zahlungsverjährung erloschen seien.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Der zuständigen Sachbearbeiterin des FA seien Wohnsitz oder Aufenthaltsort des X nicht bekannt gewesen. Unerheblich sei, dass eine andere Bearbeitungsstelle des FA möglicherweise Kenntnis von einer Adresse gehabt habe. Zudem habe das FA mit der Einschaltung des BZSt nach außen sichtbar den rein innerdienstlichen Bereich verlassen.
Mit der Revision trug X im Wesentlichen vor, das BZSt sei ein originäres Werkzeug des FA. Der Datenabruf stelle daher keine nach außen wirkende Maßnahme dar. Außerdem müsse sich das FA das Wissen getrennter Organisationseinheiten zurechnen lassen. Schließlich sei das FA für ihn, X, als Auslandsrentner nicht (mehr) zuständig gewesen, sodass dessen Handlungen keine verjährungsunterbrechende Wirkung hätte entfalten können.
Entscheidung: Verjährungsunterbrechende Wirkung der BZSt-Abfrage
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Die im Abrechnungsbescheid aufgeführten Ansprüche sind nicht durch Verjährung erloschen. Die BZSt-Online-Anfrage vom 01.12.2015 hat die Verjährung nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO unterbrochen.
Wirksamer Abrechnungsbescheid trotz Zuständigkeitsmangels
Im Streitfall ist die örtliche Zuständigkeit des FA im Hinblick auf die Sonderzuständigkeit des FA Neubrandenburg für "Auslandsrentner" nach der ESt-Zuständigkeitsverordnung nicht eindeutig. Gleichwohl ist der Abrechnungsbescheid nicht aufzuheben. Denn die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der (obgleich rechtswidrig) nicht nach § 125 AO nichtig ist, kann nach § 127 AO nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist (wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können).
Nichtigkeit liegt im Streitfall nicht vor. Denn ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten wurde (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 AO).
Außenwirkung der Wohnsitzanfrage
Die Verjährungsunterbrechung setzt eine nach außen wirkende Maßnahme i.S.v. § 231 Abs. 1 Satz 1 AO voraus. Rein innerdienstliche Maßnahmen genügen nicht. Allerdings muss der Zahlungspflichtige nichts von dieser Maßnahme erfahren. Entscheidend ist allein, dass das FA den Entschluss fasst, seinen Zahlungsanspruch durchzusetzen, und dies über den rein innerdienstlichen Bereich hinaus nach außen sichtbar wird (BFH v. 17.9.2014, VII R 8/13, BFH/NV 2015, 4).
Im Streitfall ergibt sich die Außenwirkung aufgrund der konkreten Online-Anfrage in der IdNr.-Datenbank des BZSt. Auch wenn das FA darauf automatisiert zugreifen kann, kontaktiert es damit eine andere Behörde mit der für die Unterbrechung der Verjährung erforderlichen Außenwirkung.
Unbekannter Wohnsitz bzw. Aufenthalt
Für eine Verjährungsunterbrechung durch Ermittlungen zum Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort muss hinzukommen, dass das FA einen besonderen Anlass hatte, entsprechende Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten. Es darf sich nicht um eine rein schematische Wohnsitzanfrage handeln. Der besondere Anlass bestand im Streitfall darin, dass der Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen unbekannt war.
Keine Zurechnung der Informationen anderer Sachbearbeiter oder des BZSt
Dass Mitarbeiter einer anderen Abteilung desselben FA möglicherweise eine Postanschrift kannten, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn das Wissen eines Sachbearbeiters einer anderen Einheit des FA ist entsprechend der Rechtsprechung zu § 173 AO dem konkret zuständigen Sachbearbeiter nicht zuzurechnen (BFH v. 26.5.2020, IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233).
Auch dass die richtige Anschrift des X in der Datenbank des BZSt gespeichert war, führt nicht zur Kenntnis der den Fall bearbeitenden Dienststelle des FA. Zwar sind dieser sämtliche Informationen, die dem Bearbeiter von vorgesetzten Dienststellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden, bekannt, ohne dass es insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt (BFH v. 18.8.2015, VII R 24/13, BStBl II 2016, 255). Beim BZSt handelt es sich aber nicht um eine dem FA vorgesetzte Stelle, sondern um eine andere Behörde. Das FA ist Landes-, das BZSt Bundesbehörde.
Realisierung eines konkreten Anspruchs
Die verjährungsunterbrechende Maßnahme i.S.v. § 231 Abs. 1 AO muss auf die Realisierung eines konkreten Anspruchs, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein (BFH v. 24.11.1992, VII R 63/92, BStBl II 1993, 220). Das liegt hier vor. Die BZSt-Online-Anfrage vom 01.12.2015 war auf die Durchsetzung konkreter Zahlungsansprüche gerichtet.
Hinweis: Unterbrechungswirkung auch bei Zuständigkeitsmängeln
Zuständigkeitsmängel hindern die Unterbrechungswirkung der Ermittlungsmaßnahmen nicht (vergleichbar mit Zuständigkeitsmängeln beim Erlass eines Verwaltungsakts, § 127 AO). Die Unterbrechungshandlung nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO stellt einen Realakt dar. Ob das FA für die Maßnahme örtlich zuständig war, hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit für die Verjährungsunterbrechung (BFH v. 13.8.1981, IV R 72/77, BStBl II 1981, 787). Denn es ist gerade bei unbekanntem Wohnsitz oder Aufenthalt nicht möglich, das zuständige FA vorab zu ermitteln.
Dass ein FA hier nicht willkürlich tätig wird und nicht irgendein beliebiges FA die Verjährung unterbrechen kann, wird durch das weitere Tatbestandsmerkmal erreicht, dass die Maßnahme auf die Realisierung eines konkreten Anspruchs, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein muss. Der BFH widerspricht damit einer (nicht unwichtigen) Auffassung im Schrifttum, dass die Verjährungsfrist nicht unterbrochen wird, wenn das FA für die Unterbrechungshandlung örtlich unzuständig ist (Heuermann, HHSp, § 231 AO Rz 7).
BFH Beschluss vom 21.12.2021 - VII R 21/19 (veröffentlicht am 31.03.2022)
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