Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 85
Nach dem Grundsatz des IFRS 1.7 sind auf den erstmals veröffentlichten IFRS-Abschluss einheitlich die IFRS-Rechnungslegungsmethoden anzuwenden, welche am Ende der ersten IFRS-Berichtsperiode gelten. Von diesem Grundsatz gibt es eine begrenzte Anzahl von zwingend zu beachtenden Ausnahmen, jedoch eine vergleichsweise große und im Zeitablauf auch gewachsene Zahl von Wahlrechten zum Verzicht auf die retrospektive Anwendung der IFRS-Normen. Letztgenannte bezwecken, den Übergang zur IFRS-Rechnungslegung für die erstmals nach IFRS bilanzierenden Unternehmen zu erleichtern. Eine vergleichsweise große Anzahl von Wahlrechten entpuppt sich jedoch bei näherer Analyse nur als Weitergabe von Übergangsvorschriften, welche in den entsprechenden IAS/IFRS bzw. IFRIC-Interpretationen enthalten sind. Die Weitergabe solcher Übergangsvorschriften ist auch sachgerecht, da an einen IFRS-Erstanwender keinesfalls höhere Anforderungen als an solche Unternehmen gestellt werden können, die schon länger nach IFRS bilanzieren.
In vielen Fällen, in denen der IASB die retrospektive Anwendung der IFRS-Rechnungslegungsvorschriften für zu aufwendig hält, erlaubt er die Fortführung der nach den bislang angewendeten Rechnungslegungsmethoden angesetzten Wertansätze in der IFRS-Rechnungslegung, wobei diese landesrechtlich angesetzten Wertansätze ggf. auf das Bestehen einer Wertminderung zu prüfen bzw. in der IFRS-Eröffnungsbilanz dann entsprechend anzupassen sind.
Die Wahlrechte können – fast ausnahmslos – unabhängig voneinander ausgeübt werden. Beachtenswert ist weiterhin, dass der zur IFRS-Rechnungslegung übergehende Bilanzierende diese Wahlrechte weitestgehend auch unabhängig davon in Anspruch nehmen kann, ob die retrospektive Anwendung der IFRS-Normen durchführbar oder nur mit einem unangemessenen Kosten- bzw. Zeitaufwand möglich ist.
Rz. 86
Die große Anzahl von Wahlrechten, welche unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden dürfen, führt zu einer vergleichsweise geringeren zwischenbetrieblichen Vergleichbarkeit der nach IFRS Bilanzierenden untereinander. Durch die Verankerung einer praktisch uneingeschränkt geltenden Stetigkeit der im ersten vollständig offengelegten IFRS-Abschluss angewendeten IFRS-Bilanzierungsmethoden hat sich der IASB stattdessen stärker für die zeitliche Vergleichbarkeit der IFRS-Abschlüsse der erstmalig IFRS anwendenden Unternehmen entschieden.
Die zahlreichen Wahlrechte bei der Umstellung auf die IFRS-Rechnungslegung führen dazu, dass es in vielen Fällen faktisch zu einer allmählichen Umstellung auf die IFRS-Rechnungslegung kommt und die zum Übergangszeitpunkt in Anspruch genommenen Wahlrechte auch auf Perioden nach dem Übergangszeitpunkt ausstrahlen. Für den Bilanzanalysten wirkt in diesem Zusammenhang besonders erschwerend, dass Parallelrechnungen mangels teilweise fehlender Angabepflichten (über bei Aufstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz alternativ mögliche Wertansätze) nicht aufgestellt werden können und dementsprechend nur sehr begrenzt erkannt werden kann, ob und wie sich diese Wahlrechte bei der Umstellung auf die IFRS-Rechnungslegung in den einzelnen Perioden auswirken.
Rz. 87
Mit der im Zeitablauf erfolgten sukzessiven Erweiterung der Wahlrechte im Zusammenhang mit der IFRS-Erstanwendung wurden auch die Angabepflichten zum ersten nach IFRS offengelegten Abschluss deutlich erweitert. Nach der Generalnorm des IFRS 1.23 soll das zu IFRS übergehende Unternehmen erläutern, wie sich der Übergang von den zuvor angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen zu IFRS auf seine Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie seinen Cashflow ausgewirkt hat. Diese Generalnorm schließt sowohl diverse Überleitungsrechnungen, Angaben zu den im ersten nach IFRS offengelegten Abschluss angewandten Rechnungslegungsmethoden sowie die quantitative Offenlegung ausgewählter Anpassungseffekte gegenüber den bislang angewendeten Rechnungslegungsmethoden zu IFRS ein. Auch hierdurch wird die zeitliche Vergleichbarkeit der von einem Unternehmen offengelegten Abschlüsse gefördert. Diese Informationen sollen dem Abschlussadressaten helfen, die Effekte und Bedeutung des Übergangs von den bislang angewandten zu den IFRS-Rechnungslegungsmethoden besser zu verstehen und die bislang angewendeten analytischen Modelle, z. B. zur Vorhersage künftiger Ergebnisse, vor dem Hintergrund der nunmehr angewendeten IFRS-Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anpassen zu können.