Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Eine mögliche – durch die Kennzeichnung als Nennbetragsaktien anstatt als Stückaktien bedingte – formale Unrichtigkeit von Aktien hindert nicht den Erwerb des dann noch unverkörperten Mitgliedschaftsrechts an der AG.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 EStG, § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 133, § 398 BGB
Sachverhalt
Unser K wollte sich unbedingt und nach einer Präsentation in London sobald wie möglich an einer AG des neuen Marktes im Internetbereich beteiligen. Diese AG mit einem Grundkapital von 50.000 EUR sollte nach ihrer Satzung auf den Inhaber lautende Stückaktien ausgeben, und zwar 50.000. Sie stellte aber verbriefte Aktienurkunden aufgrund eines von der Deutschen Bundesbank herausgegebenen Mustervordrucks her. Die Urkunden wurden durchnummeriert, mit einem betragsmäßigen Wert (Nennbetrag) versehen und unterzeichnet. Der Gesamtnennbetrag entsprach der Höhe des Grundkapitals. Nachdem sich K mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der AG über die Übertragung einer 1,5 %igen Beteiligung an der Gesellschaft gegen Zahlung von 1 Mio. EUR geeinigt hatte, erhielt K schließlich eine Aktienurkunde von 250 EUR und vier weitere von je 125 EUR. K wurde in die "Aktionärsliste" eingetragen und zur außerordentlichen Hauptversammlung geladen. Die AG entwickelte sich aber nicht wie erwartet. K veräußerte seine Beteiligung an seine Schwester für 750 EUR und machte einen Veräußerungsverlust von knapp 1 Mio. EUR geltend. Kurze Zeit später wurde der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt. FA und FG waren aber der Auffassung, K sei nicht Gesellschafter geworden (FG Münster, Urteil vom 25.2.2009, 12 K 4333/05 E,F, EFG 2010, 954).
Entscheidung
Das sah der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Erwägungen anders und gab der Klage statt. Soweit das FG den Übereignungsvorgang lediglich mit Blick auf die Formulierung in der vom Kläger erstellten Quittung abweichend gewürdigt hat, lässt eine solche Auslegung die Begleitumstände, unter denen die Übertragung der "Nennbetragsaktien" stattgefunden hat, außer Betracht und verletzt § 133 BGB.
Der Verkauf an die Schwester entsprach einem Fremdvergleich. Es bestanden auch keine Bedenken gegen die tatsächliche Durchführung.
Hinweis
Nehmen wir an, K beteiligt sich an einer AG und zahlt den bedungenen Betrag. Statt der satzungsmäßig auszugebenden Stückaktien erhält K lediglich auf verschiedene Nennbeträge lautende Aktien, wird aber von der AG als Aktionär behandelt. Später veräußert er seine Beteiligung und realisiert einen Verlust. War er überhaupt Gesellschafter geworden?
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Eine Veräußerung verwirklicht sich mit der entgeltlichen Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums durch den Veräußerer an den Erwerber. Das wirtschaftliche Eigentum geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO über, wenn
- aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben wird, die dem Erwerber gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und
- die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie
- Risiko und Chance von Wertveränderungen übergegangen sind.
Der Übergang ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall zu bestimmen. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberschaft abweichende Zuordnung kann auch anzunehmen sein, wenn die genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte sind ausschlaggebend.
2.Nachdem eine schuldrechtliche Einigung zwischen K und dem Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich der Übertragung einer 1,5 %igen Beteiligung an der Gesellschaft erzielt wurde, hat K durch die Übereignung der fälschlicherweise einen Nennbetrag ausweisenden Aktien auch dinglich ein Mitgliedschaftsrecht erworben, welches ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden konnte. Denn diese Übereignung ist als formfrei mögliche und auch im Übrigen zivilrechtlich wirksame Abtretung der maßgeblichen Mitgliedschaftsrechte an der AG auszulegen. Die Beteiligten wollten übereinstimmend eine Gesellschafterstellung des K begründen und – in rechtlicher Hinsicht – Aktien als Mitgliedschaftsrechte unabhängig von ihrer zutreffenden Bezeichnung in einer verkörperten Urkunde entstehen lassen. Denn die Verbriefung des Mitgliedschaftsrechts in Gestalt von Aktienurkunden hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Eine mögliche Unrichtigkeit der Aktie hindert den Erwerb des Mitgliedschaftsrechts nicht (vgl. BGH, Urteil vom 5.4.1993, II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, m.w.N.).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.7.2011 – IX R 2/10