Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Gelangt pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sodass die auf die Lohneinkünfte zu zahlende ESt keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit ist.
Normenkette
§ 55, § 35, § 36, § 80, § 89 Abs. 2 InsO, § 850e, § 850f ZPO
Sachverhalt
Eheleute F und M wurden in den Jahren 2005 und 2006 zusammen zur ESt veranlagt. Über Fs Vermögen wurde am 20.04.2005, über Ms am 06.04.2005 das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet. Treuhänder war jeweils K. Das FA erteilte K für die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung eine Steuerberechnung für 2005, für die Zeit danach sowie für 2006 erließ es jeweils ESt-Bescheide an K. Auf die Insolvenzschuldner F und M entfiel nach Aufteilung der Steuerschuld für 2005 eine Nachzahlung von 845,74 EUR und für 2006 eine von 582,88 EUR.
Beide ESt-Bescheide enthielten den Hinweis, dass die Steuerfestsetzung die ESt als Masseverbindlichkeit betreffe. K wandte sich gegen diese Einordnung als Masseverbindlichkeit. Die Klage hatte Erfolg (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.2010, 2 K 90/08, Haufe-Index 2307078, EFG 2010, 883).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG aus den unter Praxis-Hinweise dargestellten Erwägungen.
Hinweis
Der Besprechungsfall veranschaulicht die unterschiedliche insolvenzrechtliche Behandlung der unmittelbar abzuführenden LSt einerseits und der für das Gesamteinkommen zu leistenden ESt-Abschlusszahlung andererseits.
1. Zu den insolvenzrechtlich bevorzugten Masseverbindlichkeiten gehören die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der BFH rechnete die ESt-Verbindlichkeit der Insolvenzschuldnerin F nicht dazu. Sie wurde nicht "in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" begründet. Die Arbeitstätigkeit der F ist keine Verwaltungsmaßnahme des K; die Arbeitskraft des Schuldners gehört nicht zur Insolvenzmasse (BGH, Beschluss vom 18.12.2008, IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 299). K hatte auch weder Pflicht noch Möglichkeit, Fs Tätigkeit zu beeinflussen. Und dass Arbeitseinkommen als Neuerwerb teilweise zur Masse gelangt, begründet keine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters.
2. Für die hier streitige ESt, die auf einen Neuerwerb anfällt, gilt nicht die bevorzugende Regelung, die für den LSt-Abzug gilt. Bei Ansprüchen des Insolvenzschuldners auf Arbeitslohn wird der Fiskus als LSt-Gläubiger gegenüber anderen Neugläubigern zwar privilegiert. Denn die direkt vom Arbeitgeber an das FA abgeführte LSt wird vom Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners abgezogen, um sodann erst aus dem Rest den vom Arbeitslohn allgemein pfändbaren und zur Masse kommenden Betrag zu ermitteln. So hat das FA nicht nur ein direktes Zugriffsrecht, sondern der LSt-Abzug erfolgt auch unabhängig vom Pfändungsschutz (§ 36 Abs. 1 S. 2 InsO, § 850, § 850a, § 850c, § 850e, § 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i ZPO). Dies gilt aber nur für die laufende LSt, nicht für die Abschlusszahlung auf das Gesamteinkommen.
3. Die Zugehörigkeit einer Forderung zur Masse macht damit zusammenhängende Verbindlichkeiten nicht stets zu Masseverbindlichkeiten. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter die Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Der Schuldner soll es nicht in der Hand haben, diese durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu schmälern. Das gilt grundsätzlich auch für die ESt, die insoweit nicht anders als Werbungskosten oder Betriebsausgaben eine mit einem Neuerwerb in Verbindung stehende Verbindlichkeit ist. Auch wenn die LSt die endgültige ESt nicht abdeckt, gelten keine Sonderregeln. Denn maßgeblich ist allein die einzubehaltende LSt i.S.d. § 850e ZPO. Und auch der Umstand, dass der Fiskus nicht freiwillig Gläubiger geworden ist, ändert an der Beurteilung nichts, wie die Behandlung anderer solcher Gläubiger zeigt. Der Fiskus hat nicht die Ausnahmestellung der Unterhaltsgläubiger und der Gläubiger vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.02.2011 – VI R 21/10