Die GRCh stellt in Art. 1 GRCh, wie auch das GG in Art. 1 GG, den Schutz der Menschenwürde an die Spitze der Grundrechte. Die weiteren Grundrechte entsprechen im Wesentlichen den Grundrechten des GG, sind aber z. T. ausführlicher und konkreter formuliert. Steuerlich von Bedeutung können insbesondere der Schutz der Ehe und Familie (Art. 7, 9, 33 GRCh), Berufsfreiheit und Recht, eine Arbeit aufzunehmen (Art. 15, 33 Abs. 2 GRCh), unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) und das Eigentumsrecht (Art. 17 GRCh). Hinzu kommt der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 20 GRCh), der sehr kurz dahingehend formuliert, dass alle Personen vor dem Gesetz gleich sind. Insbesondere diese Bestimmung überschneidet sich mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV bzw. den Diskriminierungsverboten der Grundfreiheiten, Art. 45ff. AEUV. Hier wäre die Lösung denkbar, dass der AEUV für den Bereich der Grundfreiheiten dem allgemeinen Gleichheitsgebot des Art. 20 GRCh als "lex specialis" vorgeht. Steuerlich von Bedeutung ist auch Art. 47 GRCh, wonach ein effektiver Rechtsschutz gewährt wird.[1]

Keines der Grundrechte der GRCh gilt uneingeschränkt. Bei einer Kollision mehrerer Grundrechte ist ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten herzustellen. Außerdem enthalten die Grundrechte der GRCh i. d. R. Vorbehalte der Inhaltsbestimmung durch Unionsrecht oder Vorschriften der Einzelstaaten (z. B. Art. 16 GRCh; Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh). Nach Art. 52 Abs. 1 GRCh muss eine Einschränkung der Grundrechte auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und darf nicht in das Wesensgehalt dieser Grundrechte eingreifen. Die Einschränkungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, erforderlich sein und dem Gemeinwohl dienen. Unter diesen Voraussetzungen können Grundrechte der GRCh auch durch den nationalen Gesetzgeber eingeschränkt werden, wenn europarechtlich eine solche Einschränkung nicht geregelt ist.[2]

Die Grundrechte der GRCh ähneln daher auch insoweit den Grundrechten des GG, unterscheiden sich aber von den Grundfreiheiten des AEUV, die eine Inhaltsbestimmung durch Gesetze nicht ausdrücklich vorsehen.

Die GRCh regelt nicht ausdrücklich, ob neben natürlichen Personen auch Gesellschaften begünstigt sind. Sprachlich unterscheidet die GRCh zwischen "Menschen" (z. B. Art. 6 GRCh), "Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern" (z. B. Art. 39 GRCh) und "Personen" (z. B. Art. 17 GRCh). Teilweise wird auch abstrakt, ohne Bezugnahme auf eine Person, formuliert (z. B. Art. 18 GRCh). Man wird daraus schließen können, dass der Begriff "Personen" auch Gesellschaften (Personengesellschaften und Körperschaften) umfasst und dass die Grundrechte auf sie anwendbar sind, soweit Grundrechte auf Gesellschaften ihrer Rechtsnatur nach anwendbar sind. Auch der EuGH hat das Grundrecht des Art. 47 GRCh, das sich auf "Personen" bezieht, ohne weitere Diskussion auf eine Kapitalgesellschaft angewandt.[3]

Die GRCh garantiert insoweit ein "Mindestschutzniveau", als weitergehende Rechte durch internationale Verträge, wie die Menschenrechtskonvention, und durch nationale Verfassungen unberührt bleiben (Art. 53 GRCh). Soweit das GG einen weitergehenden Schutz gewährt, bleibt dieser anwendbar.

[1] Hierzu EuGH v. 6.10.2020, C-245/19, C-246/19 (Etat Luxembourgeois), DStRE 2020, 1454.
[2] Hierzu EuGH v. 6.10.2020, C-245/19, C-246/19 (Etat Luxembourgeois), DStRE 2020, 1454.
[3] EuGH v. 16.5.2017, C-682/15 (Berlioz Investment), IStR 2017, 785; EuGH v. 6.10.2020, C-245/19, C-246/19 (Etat Luxembourgeois), DStRE 2020, 1454.

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