Erhöhter Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte mit EU-Recht vereinbar
In einer Grundsatzentscheidung hat der EuGH im Rahmen der Beantwortung einer Vorlage des BAG die gesetzlichen Beschränkungen des Kündigungsrechts gegenüber Datenschutzbeauftragten für mit europäischem Recht vereinbar erklärt.
Gesetzeslage in Deutschland
Nach § 38 BDSG sind Unternehmen zur Benennung eines Datenschutzbeauftragten verpflichtet, soweit sie in der Regel mindestens 10 Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen. Gemäß § 6 Abs. 4 BDSG ist die Abberufung des oder der Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig. Die Regelung gilt auch nach Beendigung der Datenschutztätigkeit noch 1 Jahr.
Umstrukturierungsmaßnahme als wichtiger Kündigungsgrund?
Gegenstand des beim BAG anhängigen Rechtsstreits war die Kündigung eines zur Benennung eines Datenschutzbeauftragten verpflichteten Unternehmens gegenüber der dort beschäftigten Datenschutzbeauftragten. Das Unternehmen stützte die Kündigung auf eine Umstrukturierungsmaßnahme, die zur Auslagerung der gesamten Datenschutzabteilung und der internen Rechtsberatungstätigkeit geführt habe. Diese Unternehmensumstrukturierung wollte das Unternehmen als rechtlich zulässigen wichtigen Grund für die erfolgte Kündigung gewertet wissen.
Kündigungsschutzklage der Datenschutzbeauftragten
Die hierauf erhobene Kündigungsschutzklage der Datenschutzbeauftragten hatte vor dem ArbG und dem LAG Erfolg. Beide Gerichte werteten die Umstrukturierungsmaßnahme nicht als wichtigen Grund, der die Kündigung der Datenschutzbeauftragten rechtfertigen könnte. Das mit der Revision befasste BAG teilte diese Auffassung im Prinzip, hatte aber Zweifel, ob Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO es zulässt, dass ein einzelner Mitgliedstaat eine Regelung beschließt, durch die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten an strengere Voraussetzungen als nach EU-Recht geknüpft wird.
Kündigungsschutz in Deutschland strenger als nach EU-Recht
Gemäß Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO darf der Datenschutzbeauftragte wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden. Die deutsche Regelung einer auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes reduzierten Kündigungsmöglichkeit geht über diese Regelung der DSGVO deutlich hinaus.
Größtmögliche Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten vom Verantwortlichen
Der EuGH stellte klar, dass Art. 38 Abs. 2 Satz 3 DSGVO den Zweck hat, Datenschutzbeauftragte vor jeder Maßnahme zu schützen, mit der ihr Amt in einer für sie nachteiligen Weise beendet wird. Darüber hinaus solle den Verantwortlichen die Möglichkeit aus der Hand genommen werden, Datenschutzbeauftragte für die Art ihrer Amtsführung durch Entfernung aus dem Amt zu sanktionieren. Die Regelung der DSGVO sei daher auch nicht auf Arbeitsverhältnisse beschränkt, vielmehr gelte die Regelung unabhängig davon, ob der Datenschutzbeauftragte als Beschäftigter des Unternehmens oder durch Vertrag als Außenstehender beauftragt sei.
DSGVO bezweckt funktionierenden EU-Datenschutz
Unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe zur DSGVO lässt sich nach Auffassung des EuGH insgesamt der Schluss ziehen, dass die DSGVO in erster Linie dem Zweck dient, die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten zu gewährleisten und diesen eine neutrale Ausübung ihrer Tätigkeit und Erfüllung ihrer Pflichten zu ermöglichen. Letztendlich solle damit ein allgemein hohes Datenschutzniveau innerhalb der EU für natürliche Personen gewährleistet und eine gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Datenschutzes zum Zweck des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten der EU-Bürger gewährleistet werden (EuGH, Urteil v. 6.10.2020, C-511/18).
Deutsche Regelung bezweckt individuellen Arbeitsschutz
Im Ergebnis zielt Art. 38 Abs. 2 Satz 2 DSGVO nach Einschätzung des EuGH damit nicht auf innerbetriebliche Regelungen von Arbeitsverhältnissen ab, sondern auf einen funktionierenden Datenschutz innerhalb der EU. Demgegenüber betreffe die deutsche Regelung zum Kündigungsschutz in § 6 Absatz 4 BDSG den Schutz der Mitarbeiter von Unternehmen im Rahmen ihrer arbeitsrechtlichen Stellung. Die Regelung sei Ausdruck der deutschen arbeitsrechtlichen Sozialpolitik.
Nationale Regelungen dürfen über EU-Mindestanforderungen hinausgehen
Aus diesen Erwägungen folgert der EuGH, dass die deutsche wie auch andere arbeitsschutzrechtliche Regelungen von Mitgliedstaaten, die zugunsten der Datenschutzbeauftragten strengere Schutzmaßnahmen vorsehen, als sie in den EU-Richtlinien als Mindestanforderungen zum Ausdruck kommen, grundsätzlich mit EU-Recht vereinbar sind. Jedem Mitgliedstaat stehe es frei, im Rahmen seiner Zuständigkeit strengere Vorschriften für die arbeitgeberseitige Kündigung eines Datenschutzbeauftragten als die DSGVO vorzusehen, soweit dadurch die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt werde.
Strenger deutscher Kündigungsschutz ist mit EU-Recht vereinbar
Mit diesen Erwägungen kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO einer nationalen Regelung – und damit auch der deutschen - nicht entgegensteht, nach der einem bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigten Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt.
Kündigung der Datenschutzbeauftragten bleibt wohl rechtswidrig
Nach dieser EuGH-Entscheidung dürfte die beim BAG eingelegte Revision gegen die Entscheidung des LAG auf Stattgabe der Kündigungsschutzklage der Datenschutzbeauftragten keine Aussicht auf Erfolg haben. Mit der jetzigen Entscheidung bekräftigt der EuGH ein weiteres Mal seine Neigung, dem Thema Datenschutz in der EU ein besonders Gewicht beizumessen.
(EuGH, Urteil v. 22.6.2022, C-534/20)
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