Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Vorsteuerabzug in der Bauphase eines Gebäudes. Regelung der optionalen Besteuerung. Aufgabe der ursprünglich beabsichtigten Tätigkeit. Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Antwort auf die Vorlagefrage, die sich klar aus der Rechtsprechung ableiten lässt
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2006/112/EG
Beteiligte
Skellefteå Industrihus AB |
Tenor
Die Art. 137, 168, 184 bis 187, 189 und 192 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass ein Grundeigentümer, der bei der Errichtung eines zur Vermietung vorgesehenen Gebäudes für die Besteuerung optiert und die auf Erwerbe im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben gezahlte Vorsteuer abgezogen hat, dazu verpflichtet ist, diese gesamte Steuer zuzüglich etwaiger Zinsen unverzüglich zurückzuzahlen, weil das beabsichtigte Vorhaben, das zum Vorsteuerabzug berechtigte, zu keiner besteuerten Tätigkeit geführt hat, aber einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass die Vorsteuer in einem solchen Fall zu berichtigen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 19. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2020, in dem Verfahren
Skatteverket
gegen
Skellefteå Industrihus AB
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl, des Richters F. Biltgen (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nach Anhörung des Generalanwalts getroffenen Entscheidung, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 137, 168, 184 bis 187, 189 und 192 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Skatteverk (Finanzbehörde, Schweden) und der Skellefteå Industrihus AB über die dieser auferlegte Verpflichtung, nach der Aufgabe eines Immobilieninvestitionsvorhabens eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrechtliche Vorschriften
Rz. 3
In Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.”
Rz. 4
Art. 135 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
l) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.”
Rz. 5
Art. 137 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei folgenden Umsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden:
…
b) Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;
c) Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe b;
d) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.
(2) Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des Wahlrechts nach Absatz 1 fest.
Die Mitgliedstaaten können den Umfang dieses Wahlrechts einschränken.”
Rz. 6
Art. 168 dieser Richtlinie sieht vor:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
- die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
- die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;
- die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i geschuldet wird;
- die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze gemäß den Artikeln 21 und 22 geschuldet wird;
- die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.”
Rz. 7
Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.”
R...