Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbringen eines Pkw in das Zollgebiet, Vorschriftswidrige Einfuhr, Ort der Entstehung der EUSt, Gelangen in den Wirtschaftskreislauf der EU, Verbindung von Zollschulden mit der EUSt
Normenkette
ZK Art. 87 Abs. 4; EUV 952/2013; EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1, Art. 70-71, 71 Abs. 1 Unterabs. 2
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Einfuhrmehrwertsteuer für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Januar 2020, in dem Verfahren
VS
gegen
Hauptzollamt Münster
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Hauptzollamts Münster, vertreten durch K. Thode als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, J. Jokubauskaite und R. Pethke als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VS und dem Hauptzollamt Münster (Deutschland) über die Entrichtung von Zöllen und der Einfuhrmehrwertsteuer für ein in der Türkei zugelassenes Privatfahrzeug, das von VS in die Europäischen Union eingeführt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer. Nach Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie gilt als Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Union.
Rz. 4
Gemäß Art. 60 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgt die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union verbracht wird.
Rz. 5
In Art. 62 der Richtlinie heißt es:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt
(1) als ‚Steuertatbestand’ der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;
…”
Rz. 6
Nach Art. 70 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt.
Rz. 7
Art. 71 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die [Union] einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.
Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.”
Zollkodex
Rz. 8
In Art. 79 („Entstehen der Zollschuld bei Verstößen”) der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1) (im Folgenden „Zollkodex”) heißt es:
„(1) Für einfuhrabgabenpflichtige Waren entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn Folgendes nicht erfüllt ist:
a) eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union, auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung oder auf die Beförderung, Veredelung, Lagerung, vorübergehende Verwahrung, vorübergehende Verwendung oder Verwertung dieser Waren in diesem Gebiet,
…
(3) In den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben a und b ist Zollschuldner,
a) wer die betreffen...