Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsmarktabgabe, Abgabe mit Mehrtwertsteuercharakter, Rückforderung einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe, ungerechtfertigte Bereicherung
Leitsatz (amtlich)
Die Regeln des Unionsrechts über die Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge sind dahin auszulegen, dass diese Rückforderung nur dann zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führen kann, wenn die von einem Abgabenpflichtigen ohne Rechtsgrund gezahlten Beträge, die in einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, unmittelbar auf den Abnehmer abgewälzt wurden. Das Unionsrecht verwehrt es daher einem Mitgliedstaat, die Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe mit der Begründung abzulehnen, dass die vom Abgabenpflichtigen rechtsgrundlos entrichteten Beträge mit einer Einsparung aus der gleichzeitigen Aufhebung anderer Abgaben verrechnet worden seien, da eine solche Verrechnung aus der Sicht des Unionsrechts nicht als ungerechtfertigte Bereicherung in Bezug auf die erstgenannte Abgabe angesehen werden kann.
Normenkette
Unionsrecht
Beteiligte
Lady & Kid A/S, Direct Nyt ApS, A/S Harald Nyborg, Isenkram und Sportsforretning, KID-Holding A/S |
Verfahrensgang
Østre Landsret (Dänemark) (Entscheidung vom 12.10.2009; Abl.EU 2009, Nr. C 312/22) |
Tatbestand
„Nichterstattung einer rechtsgrundlos entrichteten Abgabe ‐ Ungerechtfertigte Bereicherung aufgrund des Zusammenhangs zwischen der Einführung dieser Abgabe und der Aufhebung anderer Abgaben“
In der Rechtssache C-398/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 12. Oktober 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 2009, in dem Verfahren
Lady & Kid A/S,
Direct Nyt ApS,
A/S Harald Nyborg Isenkram- og Sportsforretning,
KID-Holding A/S
gegen
Skatteministeriet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, K. Schiemann und D. Šáby, des Richters A. Rosas, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter E. Juhász und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterinnen M. Berger und A. Prechal,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Lady & Kid A/S u. a., vertreten durch H. Peytz, advokat,
‐ der dänischen Regierung, vertreten durch T. Winkler als Bevollmächtigten im Beistand von S. Fugleholm, advokat,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und N. Fenger als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Dezember 2010
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lady & Kid A/S, der Direct Nyt ApS (im Folgenden: Direct Nyt), der A/S Harald Nyborg Isenkram- og Sportsforretning (im Folgenden: Harald Nyborg) und der KID-Holding A/S auf der einen und dem Skatteministeriet (Ministerium für Steuern, im Folgenden: Skatteministerium) auf der anderen Seite wegen dessen Weigerung, Ersteren eine unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgabe (im Folgenden: rechtswidrige Abgabe) zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Das Königreich Dänemark führte mit dem Gesetz Nr. 840 vom 18. Dezember 1987 mit Wirkung zum 1. Januar 1988 eine als Arbejdsmarkedsbidrag (Arbeitsmarktabgabe, im Folgenden: Ambi) bezeichnete Arbeitgeberabgabe ein. Die Bemessungsgrundlage der Ambi, deren Satz 2,5 % betrug, war grundsätzlich dieselbe wie die der Mehrwertsteuer. Sie wurde jedoch nicht bei der Einfuhr von Waren nach Dänemark entrichtet, sondern auf den vollen Verkaufspreis dieser Waren beim ersten Verkauf im Inland erhoben.
Rz. 4
Im Gegenzug zur Einführung der Ambi wurden einige Arbeitgeberabgaben aufgehoben, die dänische Betriebe in Höhe von 10 300 DKK je Vollzeitbeschäftigten entrichten mussten.
Rz. 5
Ziel dieser Steuerreform war es, Wachstum und Beschäftigung durch die Beseitigung des Zusammenhangs zwischen den zu entrichtenden Arbeitgeberabgaben und der Zahl der Beschäftigten zu fördern, ohne den Staatshaushalt zu belasten.
Rz. 6
Die Ambi wurde bei dänischen Betrieben vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1991 erhoben; mit einem Gesetz vom 21. Dezember 1991 wurde das Gesetz Nr. 840 vom 18. Dezember 1987 mit Wirkung zum 1. Januar 1992 aufgehoben.
Rz. 7
Im Jahr 1989 wurde die Ambi von einigen Importunternehmen vor dem Østre Landsret als rechtswidrig angefochten; dieses sah es als erforderlich an, die Frage der Vereinbarkeit der Ambi mit dem Gemeinschaftsrecht dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Im Urteil vom 31. März 1992, Dansk Denkavit und Poulsen Trading (C-200/90, Slg. 1992, I-2217), antwortete der Gerichtshof, dass Art. 33 der Sechsten Ric...