Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestbemessungsgrundlage, Umsätze zwischen verbundenen Personen, fehlende Ermächtigung durch den Rat
Leitsatz (amtlich)
Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, auf Umsätze der im Ausgangsverfahren fraglichen Art zwischen verbundenen Parteien, die einen erkennbar unter dem normalen Marktpreis liegenden Preis vereinbart haben, eine andere Regel für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage als die in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehene allgemeine Regel anzuwenden, indem er die Anwendung der Regeln für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für die Entnahme oder die Verwendung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen für private Zwecke des Steuerpflichtigen im Sinne von Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie auf diese Umsätze erstreckt, obwohl dieser Mitgliedstaat nicht das Verfahren nach Art. 27 dieser Richtlinie befolgt hat, um die Ermächtigung zur Einführung einer solchen von der allgemeinen Regel abweichenden Maßnahme zu erhalten.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 6, Art. 6 Abs. 2
Beteiligte
Campsa Estaciones de Servicio |
Campsa Estaciones de Servicio SA |
Administración del Estado |
Verfahrensgang
Tribunal Supremo (Spanien) (Urteil vom 26.04.2010; Abl.EU 2010, Nr. C 246/20) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 11 Teil A Abs. 1 und Art. 27 ‐ Besteuerungsgrundlage ‐ Erweiterung der Bestimmungen über Entnahmen auf Umsätze zwischen verbundenen Parteien bei Preisen, die erkennbar unter dem normalen Marktpreis liegen“
In der Rechtssache C-285/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Spanien) mit Entscheidung vom 26. April 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2010, in dem Verfahren
Campsa Estaciones de Servicio SA
gegen
Administración del Estado
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Schiemann, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Campsa Estaciones de Servicio SA, vertreten durch F. Bonastre Capell, abogado,
‐ der spanischen Regierung, vertreten zunächst durch B. Plaza Cruz, sodann durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Martínez del Peral und R. Lyal als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Campsa Estaciones de Servicio SA (im Folgenden: Campsa) gegen die Administración del Estado wegen eines Bescheids der Oficina Nacional de Inspección (nationaler Inspektionsdienst) über die Mehrwertsteuer für das Jahr 1993.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.
Rz. 4
Art. 5 Abs. 6 und 7 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„(6) Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens nicht darunter.
(7) Die Mitgliedstaaten können einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellen
a) die Zuordnung eines im Rahmen seines Unternehmens hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten, gekauften oder eingeführten Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines Unternehmens, falls ihn der Erwerb eines solchen Gegenstands von einem anderen Steuerpflichtigen nicht zum vollen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigen würde;
b) die Zuordnung eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen zu einem nicht besteuerten Tätigkeitsbereich, wenn dieser Gegenstand bei seiner Anschaffung oder seiner Zuordnung nach Buchstabe a) zum vollen...