Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Erstattung von Vorsteuerüberhängen, Voraussetzung der Erstattung von Vorsteuerüberhängen, Stellung einer Kaution, Begriff der Sondermaßnahme zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 18 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 2005/92/EG des Rates vom 12. Dezember 2005 und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen entgegen, die ‐ um die notwendigen Kontrollen zur Verhinderung von Steuerumgehung und -hinterziehungen zu ermöglichen ‐ die ab der Abgabe der Mehrwertsteuererklärung laufende Frist, über die die Finanzverwaltung für die Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses an eine bestimmte Kategorie von Steuerpflichtigen verfügt, von 60 Tagen auf 180 Tage verlängert, sofern die entsprechenden Steuerpflichtigen nicht eine Kaution in Höhe von 250 000 PLN stellen.
2. Bestimmungen wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden sind keine „abweichenden Sondermaßnahmen“ zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen im Sinne von Art. 27 Abs. 1 des Sechsten Richtlinie 77/388 in der Fassung der Richtlinie 2005/92.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 18 Abs. 4, Art. 27
Beteiligte
Dyrektor Izby Skarbowej we Wroclawiu Osrodek Zamiejscowy w Walbrzychu |
Verfahrensgang
Wojewódzki Sad Administracyjny we Wroclawiu (Polen) (Urteil vom 11.12.2006; Abl.EU 2007, Nr. C 69/7) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Richtlinien 67/227/EWG und 77/388/EWG ‐Nationale Rechtsvorschriften, mit denen die Einzelheiten der Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses festgelegt werden ‐ Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit ‐ Abweichende Sondermaßnahmen“
In der Rechtssache C-25/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Wojewódzki Sad Administracyjny we Wroclawiu (Polen) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 2007, in dem Verfahren
Alicja Sosnowska
gegen
Dyrektor Izby Skarbowej we Wroclawiu Osrodek Zamiejscowy w Walbrzychu
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter), A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Frau Sosnowska, vertreten durch M. Sworobowicz, doradca podatkowy,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch E. Osniecka-Tamecka, H. Majszczyk und M. Jarosz als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Herrmann und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Februar 2008
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 EG in Verbindung mit Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1301) in der durch die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Erste Mehrwertsteuerrichtlinie) und Art. 18 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2005/92/EG des Rates vom 12. Dezember 2005 (ABl. L 345, S. 19) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie). Zum anderen betrifft es die Auslegung von Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sosnowska (im Folgenden: Klägerin) und dem Dyrektor Izby Skarbowej we Wroclawiu Osrodek Zamiejscowy w Walbrzychu (Direktor der Finanzkammer Wroclaw [Breslau], Außenstelle Walbrzych [Waldenburg], im Folgenden: Dyrektor) über einen Antrag auf Erstattung des von der Klägerin gezahlten Mehrwertsteuerüberschusses.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 2 der Ersten Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchssteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienst...