Entscheidungsstichwort (Thema)
Eintragung von Gesellschaftsgründungen, Verbot rückwirkend geltender staatlicher Konzessionsabgaben, Zulässigkeit einer Abgabe mit Gebührencharakter, Verweigerung der Rückerstattung unter Berufung auf nationale Ausschlussfristen möglich
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ist dahin auszulegen, dass er vorbehaltlich der Ausnahmebestimmungen des Artikels 12 der Richtlinie rückwirkend geltende Abgaben für die Eintragung gesellschaftsrechtlicher Handlungen in das Unternehmensregister verbietet, da sie keine nach der Richtlinie zulässige Gesellschaftssteuer sind. Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 ist dahin auszulegen, dass solche rückwirkend erhobenen Abgaben keine nach dieser Vorschrift zulässigen Abgaben mit Gebührencharakter sind, wenn für die Eintragungen in das Unternehmensregister, für die sie anfallen, bereits Abgaben erhoben wurden, die durch die rückwirkenden Abgaben ersetzt werden sollen, aber denen, die sie entrichtet haben, nicht erstattet werden. In sonstigen Fällen sind solche rückwirkend erhobenen Abgaben nur dann zulässige Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335, wenn ihre Höhe, die je nach der Rechtsform der Gesellschaft unterschiedlich sein darf, allein auf der Grundlage der Kosten für die betreffenden Förmlichkeiten berechnet worden ist, wobei in diese Beträge auch die Kosten unbedeutenderer gebührenfreier Vorgänge eingehen dürfen und gegebenenfalls parallel entrichtete sonstige Abgaben, die den gleichen erbrachten Dienst vergüten sollen, zu berücksichtigen sind. Für die Bemessung dieser Beträge darf ein Mitgliedstaat sämtliche Kosten einbeziehen, die mit den Eintragungen zusammenhängen, einschließlich des auf diese Vorgänge entfallenden Teils der allgemeinen Kosten. Ein Mitgliedstaat kann auch Pauschalabgaben vorsehen und ihre Höhe zeitlich unbegrenzt festsetzen, wenn er sich regelmäßig vergewissert, dass diese Beträge nicht die Durchschnittskosten der betreffenden Vorgänge überschreiten.
2. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem Mitgliedstaat nicht, sich gegenüber Klagen auf Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind, auf eine nationale Ausschlußfrist von drei Jahren zu berufen, die von der günstigeren allgemeinen Frist, die für Klagen gegen Private auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge abweicht, wenn diese Ausschlußfrist in gleicher Weise auf alle Klagen auf Erstattung von Abgaben unabhängig davon angewandt wird, ob sie auf das Gemeinschaftsrecht oder auf das innerstaatliche Recht gestützt werden.
3. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem Mitgliedstaat, Bestimmungen zu erlassen, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofes für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt worden ist oder deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sich aus einem solchen Urteil ergibt, Voraussetzungen unterwerfen, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf die Erstattung der fraglichen Abgabe anwendbar gewesen wären, wenn diese Bestimmungen nicht erlassen worden wären.
Normenkette
EWGRL 335/69 Art. 10
Beteiligte
Amministrazione delle Finanze dello Stato |
Verfahrensgang
Corte d' Appello Roma (Italien) |
Tribunale di Milano (Italien) |
Tatbestand
Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Artikel 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e - Unternehmensregister - Eintragung von Gesellschaftsgründungen und anderer gesellschaftsrechtlicher Handlungen - Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge - Nationale Verfahrensvorschriften - Zinsen
In den verbundenen Rechtssachen C-216/99 und C-222/99
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunale Mailand (Italien) (C-216/99) und von der Corte d'appello Rom (Italien) (C-222/99) in den bei diesen anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Riccardo Prisco Srl
gegen
Amministrazione delle Finanze dello Stato (C-216/99),
und
Ministero delle Finanze
gegen
CASER SpA (C-222/99)
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) und des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken sowie der Richter J.-P. Puissochet (Berichterstatter), R. Schintgen, V. Skouris und J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Riccardo Prisco Srl, vertreten durch M. Costanza und A. Bozzi, avvocati,
- der CASER SpA, vertreten durch A. Crosta, A. Bozzi und G. Bozzi, avvoc...