Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung. In Bezug auf Berufsrisiken besonders gefährdeter Arbeitnehmer im Sinne des nationalen Rechts. Vorliegen einer ‚Behinderung’. Kündigung aus sachlichen Gründen, die auf den Kriterien der Produktivität, der vielseitigen Einsetzbarkeit an den Arbeitsplätzen des Unternehmens und der Fehlzeitenquote beruht. Besonderer Nachteil für Menschen mit Behinderung. Mittelbare Diskriminierung. Angemessene Vorkehrungen. Person, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des betreffenden Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii, Art. 5
Beteiligte
Nobel Plastiques Ibérica SA |
Tenor
1. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass der Gesundheitszustand eines in Bezug auf Berufsrisiken als besonders gefährdet eingestuften Arbeitnehmers im Sinne des nationalen Rechts, der deswegen an bestimmten Arbeitsplätzen nicht arbeiten kann, da dies ein Risiko für seine eigene Gesundheit oder andere Personen darstellt, nur dann unter den Begriff „Behinderung” im Sinne dieser Richtlinie fällt, wenn dieser Zustand eine Einschränkung seiner Fähigkeit nach sich zieht, die u. a. auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern hindern können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind.
2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass die Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers aus „sachlichen Gründen”, weil dieser die vom Arbeitgeber für die Bestimmung der zu entlassenden Personen herangezogenen Auswahlkriterien erfülle, nämlich eine unter einer bestimmten Quote liegende Produktivität, eine geringe vielseitige Einsetzbarkeit an den Arbeitsplätzen des Unternehmens und eine hohe Fehlzeitenquote aufweise, eine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne dieser Bestimmung darstellt, es sei denn, der Arbeitgeber hat zuvor im Hinblick auf diesen Arbeitnehmer angemessene Vorkehrungen im Sinne von Art. 5 dieser Richtlinie getroffen, um die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung zu gewährleisten. Dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social n° 3 de Barcelona (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 3 Barcelona, Spanien) mit Entscheidung vom 30. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2018, in dem Verfahren
DW
gegen
Nobel Plastiques Ibérica SA,
Beteiligte:
Fondo de Garantía Salarial (Fogasa),
Ministerio Fiscal,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von DW, vertreten durch J. Pérez Jiménez, abogado,
- der Nobel Plastiques Ibérica SA, vertreten durch D. Sanahuja Cambra, abogada,
- der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und P. Němečková als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DW und der Nobel Plastiques Ibérica SA über die Rechtmäßigkeit der Kündigung von DW aus sachlichen Gründen.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
In dem im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) genehmigten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden: VN-Übereinkommen) heißt es in Buchst. e der Präambel:
„in der Erkenntnis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern”.
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