Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer, Differenzbesteuerung, Lieferung von Gebrauchtfahrzeugen, Wiederverkauf eines von einem vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erworbenen Fahrzeugs, Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
Art. 313 Abs. 1 und Art. 314 in Verbindung mit den Art. 136 und 315 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer die Regelung zur Differenzbesteuerung nicht anwenden kann, wenn er als Gebrauchtgegenstände im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie geltende Kraftfahrzeuge liefert, die er zuvor mehrwertsteuerbefreit von einem anderen Steuerpflichtigen erworben hat, dem ein Recht auf teilweisen Abzug der als Vorsteuer auf den Kaufpreis dieser Fahrzeuge entrichteten Mehrwertsteuer zustand.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 313 Abs. 1, Art. 314, 136, 315
Beteiligte
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Urteil vom 25.02.2011; ABl. EU 2011, Nr. C 204/25) |
Tatbestand
„Richtlinie 2006/112/EG ‐ Mehrwertsteuer ‐ Art. 136 ‐ Befreiungen ‐ Art. 313 bis 315 ‐ Sonderregelung zur Besteuerung der Handelsspanne (Differenzbesteuerung) ‐ Lieferung von Gebrauchtfahrzeugen durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer ‐ Fahrzeuge, die dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer zuvor mehrwertsteuerbefreit von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert worden sind, der die entrichtete Vorsteuer teilweise abziehen konnte“
In der Rechtssache C-160/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 25. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2011, in dem Verfahren
Bawaria Motors sp. z o.o.
gegen
Minister Finansów
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, T. von Danwitz und D. Šváby,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Bawaria Motors sp. z o.o., vertreten durch D. Baczewska-Golińska, adwokat, und M. Zając, Steuerberater,
‐ des Minister Finansów, vertreten durch T. Tratkiewicz und J. Kaute als Bevollmächtigte,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, A. Gawlowska und A. Kraińska als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Mai 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 313 Abs. 1 und Art. 314 in Verbindung mit den Art. 136 und 315 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bawaria Motors sp. z o.o. (im Folgenden: Bawaria Motors) und dem Minister Finansów (Minister der Finanzen) über die Anwendbarkeit der Regelung zur Besteuerung der Handelsspanne (Differenzbesteuerung) auf bestimmte im Wiederverkauf von Gebrauchtfahrzeugen bestehende Tätigkeiten von Bawaria Motors.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
…“
Rz. 4
Der mit „Steuerbefreiungen“ überschriebene Titel IX der Richtlinie 2006/112 enthält ein Kapitel 3 mit der Überschrift „Steuerbefreiungen für bestimmte Tätigkeiten“. Art. 136 der Richtlinie, der sich in diesem Kapitel befindet, sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
a) die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund der Artikel 132, 135, 371, 375, 376, 377, des Artikels 378 Absatz 2, des Artikels 379 Absatz 2 sowie der Artikel 380 bis 390 von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hat;
b) die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 176 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war.“
Rz. 5
Der mit „Vorsteuerabzug“ überschriebene Titel X der Richtlinie 2006/112 enthält ein Kapitel 3 mit der Überschrift „Einschränkungen des Rechts ...