Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessungsgrundlage, rückwirkende Minderung der Bemessungsgrundlage, Warenlieferungen, Provisionszahlungen an Handelsvertreter
Leitsatz (amtlich)
Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist dahin auszulegen, dass er einem Steuerpflichtigen nicht das Recht einräumt, die Besteuerungsgrundlage für eine Lieferung von Gegenständen als rückwirkend vermindert zu behandeln, wenn ein Vertreter nach dem Zeitpunkt dieser Lieferung von Gegenständen eine Gutschrift des Lieferers erhalten hat, die er nach seiner Wahl entweder als Geldzahlung oder als Gutschrift auf dem Lieferer geschuldete Beträge für bereits erfolgte Lieferungen von Gegenständen abgerufen hat.
Normenkette
EWGRL 228/67 Art. 8 Buchst. a
Beteiligte
The Commissioners for HM Revenue and Customs |
Verfahrensgang
First-Tier Tribunal (Vereinigtes Königreich) (Urteil vom 26.05.2011; ABl. EU 2011, Nr. C 282/2) |
Tatbestand
„Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Zweite Richtlinie 67/228/EWG ‐ Art. 8 Buchst. a ‐ Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Lieferung von Gegenständen ‐ Besteuerungsgrundlage ‐ Von einer Versandhandelsgesellschaft an ihren Vertreter gezahlte Provision ‐ Drittkundenkäufe ‐ Preisnachlass nach dem Steuertatbestand ‐ Unmittelbare Wirkung“
In der Rechtssache C-310/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 26. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2011, in dem Verfahren
Grattan plc
gegen
The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus, A. Ó Caoimh, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Grattan plc, vertreten durch H. Stone und P. Lasok, QC, im Beistand von R. Haynes, Barrister,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Murrell, E. Jenkinson und L. Seeboruth als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und C. Soulay als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. September 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Buchst. a und Anhang A Nr. 13 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. Nr. 71, S. 1303, im Folgenden: Zweite Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Grattan plc (im Folgenden: Grattan) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (im Folgenden: Commissioners) über die Rückerstattung der auf die Provisionen, die als „Vertreter“ bezeichneten Personen für die im Zeitraum von 1973 bis 1977 über sie bestellten Waren gezahlt wurden, entfallenden Mehrwertsteuerbeträge.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 5 der Zweiten Richtlinie bestimmte:
„(1) ‚Lieferung eines Gegenstands‘ ist die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Als Lieferungen im Sinne des Absatzes 1 gelten ferner:
…
c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrages über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission;
…
(5) Der Steuertatbestand ist zu dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem die Lieferung ausgeführt wird. …“
Rz. 4
Anhang A Nr. 8 der Zweiten Richtlinie lautete: „Unter dem Begriff ‚Steuertatbestand‘ ist der Tatbestand zu verstehen, an den die Entstehung der Steuerschuld geknüpft ist.“
Rz. 5
Art. 8 Buchst. a der Zweiten Richtlinie bestimmte:
„Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen und Dienstleistungen alles, was den Gegenwert für die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bildet, einschließlich der Kosten und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst“.
Rz. 6
Unter dem Begriff „Gegenwert“ war nach Anhang A Nr. 13 der Richtlinie
„alles zu verstehen, was als Gegenleistung für die Lieferung des Gegenstands oder für die Dienstleistung erhalten wird, einschließlich der Nebenkosten (Verpackung, Beförderung, Versicherung usw.), d. h. nicht nur die vereinnahmten Geldbeträge, sondern z. B. auch der Wert der im Tausch erhaltenen Gegenstände …“
Rz. 7
Art. 11 Teil A der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (AB...