Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers. Vorschriften zur sozialen Sicherheit. Tragweite. Notwendige Maßnahmen zum Schutz der erworbenen Rechte oder der Anwartschaftsrechte von Arbeitnehmern im Rahmen einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung. Verpflichtung, ein Recht auf Aussonderung nicht gezahlter Altersversorgungsbeiträge aus der Insolvenzmasse vorzusehen. Fehlen
Normenkette
Richtlinie 2008/94/EG Art. 8
Beteiligte
Tenor
Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass er nicht vorschreibt, dass bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die vom Lohn eines ehemaligen Arbeitnehmers einbehaltenen und in Altersversorgungsbeiträge umgewandelten Beträge, die der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers auf ein Versorgungskonto hätte einzahlen müssen, aus der Insolvenzmasse auszusondern sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hessischen Landesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. August 2015, in dem Verfahren
Jürgen Webb-Sämann
gegen
Christopher Seagon als Insolvenzverwalter der Baumarkt Praktiker DIY GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Webb-Sämann, vertreten durch R. Buschmann und J. Schubert,
- von Herrn Seagon als Insolvenzverwalter der Baumarkt Praktiker DIY GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte E. Hess und L. Hinkel,
- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz und T. Henze als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 2008, L 283, S. 36).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Webb-Sämann und Herrn Seagon als Insolvenzverwalter der Baumarkt Praktiker DIY GmbH (im Folgenden: Baumarkt Praktiker) über das Recht auf Aussonderung der Altersversorgungsbeiträge, die von Baumarkt Praktiker vor Eintritt ihrer Zahlungsunfähigkeit nicht gezahlt wurden, aus der Insolvenzmasse.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/94 heißt es:
„Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers schützen und um ihnen ein Minimum an Schutz zu sichern, insbesondere die Zahlung ihrer nicht erfüllten Ansprüche zu gewährleisten; dabei muss die Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der [Union] berücksichtigt werden. …”
Rz. 4
Art. 3 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen sicherstellen, einschließlich, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehen ist, einer Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Ansprüche, deren Befriedigung die Garantieeinrichtung übernimmt, sind die nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, der vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitpunkt liegt.”
Rz. 5
Art. 4 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen.
(2) Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch, so legen sie die Dauer des Zeitraums fest, für den die Garantieeinrichtung die nicht erfüllten Ansprüche zu befriedigen hat. Diese Dauer darf jedoch einen Zeitraum, der die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses und die damit verbundenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt umfasst und der vor und/oder nach dem Zeitpunkt gemäß Artikel 3 Absatz 2 liegt, nicht unterschreiten.
…
(3) Die Mitgliedstaaten können Höchstgrenzen für die von der Garantieeinrichtung zu leistenden Zahlungen festsetzen. Diese Höchstgrenzen dürfen eine mit der sozialen Zielsetzung dieser Richtlinie zu vereinbarende soziale Schwelle nicht unterschreiten.
Machen die Mitgliedstaaten von dieser Befugnis Gebrauch, so teilen sie...