Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzbesteuerung, Baugrundstücke, Mehrwertsteuerpflichtiger Einkauf von Baugrundstücken, Verkauf von Baugrundstücken an Privatpersonen
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 392
Beteiligte
Icade Promotion SAS, vormals Icade Promotion Logement SAS |
Ministère de l'Action et des Comptes publics |
Verfahrensgang
Conseil d' Etat (Frankreich) (Beschluss vom 25.06.2020; ABl. EU 2020, Nr. C 297/35) |
Tenor
1. Art. 392 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er die Anwendung der Regelung über die Differenzbesteuerung auf die Lieferung von Baugrundstücken sowohl dann erlaubt, wenn deren Erwerb der Mehrwertsteuer unterlag, ohne dass der Steuerpflichtige, der sie wiederverkauft, zum Vorsteuerabzug berechtigt war, als auch dann, wenn ihr Erwerb nicht der Mehrwertsteuer unterlag, obwohl der Preis, zu dem der steuerpflichtige Wiederverkäufer diese Gegenstände erwarb, einen Mehrwertsteuerbetrag enthält, der vom ursprünglichen Verkäufer zuvor entrichtet wurde. Abgesehen von diesem Fall gilt diese Bestimmung jedoch nicht für die Lieferung von Baugrundstücken, deren ursprünglicher Erwerb nicht der Mehrwertsteuer unterlag, weil er nicht in ihrem Anwendungsbereich liegt oder von dieser Steuer befreit ist.
2. Art. 392 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er die Anwendung der Regelung über die Differenzbesteuerung auf die Lieferung von Baugrundstücken ausschließt, wenn diese unbebaut erworbenen Grundstücke in der Zeit zwischen ihrem Erwerb und ihrem Wiederverkauf durch den Steuerpflichtigen zu Baugrundstücken wurden, aber die Anwendung dieser Regelung auf die Lieferung von Baugrundstücken nicht ausschließt, wenn die Merkmale dieser Grundstücke in der Zeit zwischen ihrem Erwerb und ihrem Wiederverkauf durch den Steuerpflichtigen z. B. durch ihre Aufteilung in Parzellen oder wegen der Durchführung von Arbeiten zum Anschluss an Gas- oder Stromnetze, geändert wurden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 25. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2020, in dem Verfahren
Icade Promotion SAS, vormals Icade Promotion Logement SAS,
gegen
Ministère de l'Action et des Comptes publics
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Icade Promotion SAS, vormals Icade Promotion Logement SAS, vertreten durch P. Tournès und A. Abadie, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und É. Toutain als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Dintilhac und A. Armenia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 392 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Icade Promotion SAS, vormals Icade Promotion Logement SAS, und dem ministère de l'Action et des Comptes publics (Ministerium für staatliches Handeln und öffentliche Haushalte, Frankreich) (im Folgenden: Finanzverwaltung) wegen dessen Weigerung, die von dieser Gesellschaft entrichtete Mehrwertsteuer auf Verkäufe von Baugrundstücken an Privatpersonen in den Jahren 2007 und 2008 zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt”.
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 5
Art. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken:
- Lieferung von Gebäud...