Leitsatz
Ist in Fällen der Differenzbesteuerung nach Art. 311ff. der Richtlinie 2006/112/EG die Bestimmung des Art. 288 Satz 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass für die Bemessung des danach maßgeblichen Umsatzes bei der Lieferung von Gegenständen nach Art. 314 der Richtlinie 2006/112/EG gemäß Art. 315 der Richtlinie 2006/112/EG auf die Differenz zwischen dem geforderten Verkaufspreis und dem Einkaufspreis (Handelsspanne) abzustellen ist?
Normenkette
§ 25a Abs. 1 und Abs. 3, § 19 Abs. 1 und Abs. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 288 Satz 1 Nr. 1, Art. 315 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 267 Abs. 3 AEUV
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) führte steuerbare, der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG unterliegende Umsätze im Rahmen eines Gebrauchtwagenhandels aus. Die in den Jahren 2009 und 2010 (Streitjahr) vereinnahmten Beträge lagen jeweils über 17.500 EUR, die Handelsspannen jeweils unter 17.500 EUR. Der Kläger nahm deshalb an, dass er Kleinunternehmer i.S.d. § 19 UStG sei. Das FA unterwarf seine Umsätze der Umsatzsteuer, weil er seit 2010 kein Kleinunternehmer (mehr) sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (FG Köln, Urteil vom 13.4.2016, 9K667/14, Haufe-Index 9558645, EFG 2016, 1305 FG) gab der Klage statt und hob den Umsatzsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Es vertrat die Rechtsansicht, dass wegen Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL, auf den sich der Kläger unmittelbar berufen könne, der Gesamtumsatz anhand der Handelsspanne zu berechnen sei.
Entscheidung
Der BFH legte aufgrund der bestehenden unionsrechtlichen Zweifel die im Leitsatz genannte Frage dem EuGH vor. Das Aktenzeichen des EuGH lautet C-388/18.
Hinweis
1. Für Unternehmer, die die Differenzbesteuerung (§ 25a) oder Besteuerung von Reiseleistungen (§ 25 UStG) sowie die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) anwenden, nahm die Finanzverwaltung zum 1.1.2010 eine nachteilige Änderung der Verwaltungsauffassung vor. Vorher war nach Abschnitt 251 Abs. 1 Satz 4 UStR für die Ermittlung des Gesamtumsatzes i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG auf die "für die Besteuerung in Betracht kommende Bemessungsgrundlage" abzustellen, also der Gesamtumsatz nach der Marge (§ 25 Abs 3 UStG) bzw. der Handelsspanne (§ 25a Abs. 3 UStG) zu berechnen. Mit Schreiben vom 16.6.2009 (BStBl I 2009, 755) verfügte das BMF, dass seit 1.1.2010 für die Ermittlung des Gesamtumsatzes i.S.d. § 19 Abs. 3 UStG auf die vereinnahmten Entgelte und nicht (mehr) auf den Differenzbetrag gemäß § 25 Abs. 3 UStG (Marge) bzw. § 25a Abs. 3 UStG (Handelsspanne) abzustellen ist. Eine Begründung für diese Änderung enthält das BMF-Schreiben nicht.
2. Ob diese Sichtweise unionsrechtlich zulässig ist, ist zweifelhaft; denn nach Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL setzt sich der Umsatz, der bei der Anwendung der Kleinunternehmerregelung zugrunde zu legen ist, u.a. aus dem Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, soweit diese besteuert werden. Der Betrag einer solchen Lieferung oder Dienstleistung ist jedoch wohl nur die Marge (Art. 315 MwStSystRL) bzw. die Handelsspanne (Art. 315 MwStSystRL). Nur insoweit werden sie besteuert.
3. Der Wortlaut des § 19 UStG lässt mehrere Deutungen zu, wie u.a. schon der Umstand zeigt, dass die Finanzverwaltung bei gleichbleibendem Wortlaut ihre Auffassung ändert. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 19 Abs. 3 UStG ist deshalb möglich.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 7.2.2018 – XI R 7/16