Leitsatz
1. Wird nach dem Gesetz nicht geschuldete Umsatzsteuer in einer Rechnung ausgewiesen, entsteht im Zeitpunkt der Rechnungsausgabe eine Umsatzsteuerschuld, die auch dann erst in dem Besteuerungszeitraum, in dem die Rechnung berichtigt wird, durch Vergütung des entsprechenden Betrags zu berichtigen ist, wenn die Umsatzsteuer noch nicht festgesetzt oder angemeldet worden war.
2. Der Vergütungsanspruch entsteht insolvenzrechtlich im Zeitpunkt der Rechnungsausgabe; gegen ihn kann im Insolvenzverfahren mit der Umsatzsteuerforderung aufgerechnet werden.
Normenkette
§ 220 AO , § 226 Abs. 1 AO , § 95 InsO , § 96 InsO , § 14 Abs. 2 UStG , § 17 Abs. 1 UStG , § 387 BGB
Sachverhalt
Vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens war von dem Schuldner eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erteilt worden, obwohl die Leistung nicht der Umsatzsteuer unterlag. Die Umsatzsteuer wurde bis zur Verfahrenseröffnung nicht angemeldet und auch nicht gezahlt. Während des Insolvenzverfahrens wurde die Rechnung zurückgegeben und eine neue ohne Steuerausweis ausgestellt; Vorsteuer war von dem Leistungsempfänger nicht geltend gemacht worden.
Das FA wies dementsprechend einen Umsatzsteuervergütungsanspruch in Höhe des in der ursprünglichen Rechnung ausgewiesenen Betrags aus. Es rechnete aber zugleich gegen diesen Anspruch seine Umsatzsteuerforderung auf, die es durch den ursprünglichen Rechnungsausweis begründet sah.
Entscheidung
Die Aufrechnung ist wirksam. Die Forderung des FA war – trotz fehlender Festsetzung – seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig. Der Anspruch des Schuldners auf Umsatzsteuervergütung war bereits vor Verfahrenseröffnung begründet. Mithin konnte vom FA aufgerechnet werden.
Hinweis
1. Die Berichtigung des Umsatzsteuerausweises in einer dem Käufer erteilten Rechnung lässt den Anspruch des FA auf Umsatzsteuer nicht rückwirkend entfallen, so dass ggf. eine darüber ergangene Umsatzsteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern wäre. Die Berichtigung hat vielmehr die Rechtsfolge, dass in dem Voranmeldungszeitraum der Rechnungsberichtigung ein Umsatzsteuervergütungsanspruch entsteht (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG); das gilt auch dann, wenn die nur aufgrund des (später berichtigten) Rechnungsausweises geschuldete Umsatzsteuer noch gar nicht angemeldet oder festgesetzt worden war. Die Vergütung wird das FA nicht i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig, so dass eine Aufrechnung mit Umsatzsteuerforderungen des FA ausgeschlossen wäre; der Vergütungsanspruch war vielmehr bereits bei Rechnungserteilung – im Streitfall also vor Verfahrenseröffnung – insolvenzrechtlich "begründet", so dass das FA gegen ihn im Insolvenzverfahren aufrechnen kann.
2. Durch die neuere Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass das FA im Insolvenzverfahren auch mit seinen nicht durch entsprechende Steuerbescheide oder Anmeldungen titulierten Steuerforderungen aufrechnen kann und dies nicht an der fehlenden Fälligkeit solcher Steuerforderungen scheitert. Steuerforderungen werden zwar im Allgemeinen nicht ohne Festsetzung fällig. Denn sie bedürfen fast alle – praktisch wichtigste Ausnahme: Säumniszuschläge – der Festsetzung durch Bescheid (vgl. § 155, § 218 Abs. 1 AO). Und wenn das der Fall ist, werden sie erst fällig, wenn sie festgesetzt oder mit Festsetzungswirkung (d.h. aufgrund diesbezüglicher gesetzlicher Verpflichtung) angemeldet worden sind. Das ergibt sich klar aus § 220 Abs. 2 Satz 2 AO. Diese Vorschrift verdrängt weitgehend die gesetzliche Grundregel des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach Steuern mit ihrer materiell-rechtlichen Entstehung fällig werden, wenn sie keiner Festsetzung bedürfen.
3.Im Insolvenzverfahren indes kann das FA seine Steuerforderungen nicht mehr durch Steuerbescheid festsetzen. Es muss sie vielmehr zur Insolvenztabelle anmelden und abwarten, ob sie vom Insolvenzverwalter oder einem Insolvenzgläubiger (nicht nur dem Insolvenzschuldner!) bestritten werden. Erst wenn das geschieht, kann das FA über die Forderung einen Bescheid erlassen. Dieser in § 251 AO geregelte Feststellungsbescheid ist aber kein Steuerfestsetzungsbescheid, sondern ein insolvenzrechtliches Institut eigener Art. Auf ihn bezieht sich § 220 Abs. 2 Satz 2 AO nicht. Etwas anderes anzunehmen verbietet sich schon deshalb, weil anderenfalls das FA (und andere Behörden, über deren Forderungen Bescheide ergehen müssen) im Insolvenzverfahren wesentlich schlechter gestellt wäre als alle anderen Insolvenzgläubiger, deren Forderungen mit Verfahrenseröffnung fällig werden (vgl. § 41 InsO).
4. Hieraus hat der BFH die Folgerung gezogen, dass nicht titulierte Steuerforderungen bei Vorliegen der sonstigen Fälligkeitsvoraussetzungen, insbesondere fehlenden Hinausschiebens der Fälligkeit durch besondere steuergesetzliche Vorschrift, mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fällig werden (und nicht etwa erst mit ihrer Anmeldung zur Insolvenztabelle oder gar Ergehen eines Feststellungsbescheids nach § 251 Abs. 3 AO).
5. F...