Leitsatz
Der Senat legt dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1?
2. Sollte Frage 1 zu bejahen sein:
Kann sich die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehr- und der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen vom 25. August 1969 (BGBl I 1969, 1336), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl I 2016, 2722, FahrlG) und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben?
3. Sollte Frage 2 zu verneinen sein:
Setzt der Begriff des "Privatlehrers" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt?
4. Sollten Fragen 2 und 3 zu verneinen sein:
Wird ein Unterrichtender immer dann bereits als "Privatlehrer" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt oder sind an das Merkmal "Privatlehrer" weitere Anforderungen zu stellen?
Normenkette
§ 4 Nr. 21, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 1, § 4, § 10, § 13 FahrlG, § 1 Fahrschüler-Ausbildungsordnung, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j, Art. 133, Art. 134 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 4 EGRL 126/2006
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, erbrachte im Streitjahr 2010 als Fahrschule Leistungen für den Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B (sog. Pkw-Führerschein) und C1. Für diese Leistungen erteilte sie keine Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis. In ihrer Steuererklärung, die zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung führte, ging sie von der Steuerpflicht ihrer Leistungen aus. Sie stellte dann einen Änderungsantrag, mit dem sie die Steuerfreiheit ihrer Leistungen geltend machte.
Das FA lehnte den Antrag ab. Einspruch und Klage zum FG hatten keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 26.5.2016, 11 K 10284/15, Haufe-Index 9564938, EFG 2016, 1481).
Entscheidung
Im Revisionsverfahren legte der BFH die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts dem EuGH vor.
Hinweis
1. Das nationale Recht befreit Leistungen im Unterrichts- und Ausbildungsbereich nur unter sehr engen Voraussetzungen.
So befreit § 4 Nr. 21 UStG Buchst. a UStG die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemein- oder berufsbildender Einrichtungen. Zudem muss der Unternehmer eine staatlich genehmigte oder eine landesrechtlich erlaubte Ersatzschule betreiben oder über eine Bescheinigung über eine berufs- oder prüfungsvorbereitende Tätigkeit verfügen.
2. Das Unionsrecht enthält weitergehende Befreiungstatbestände. So befreit Art. 132 Abs. 1 MwStSystRLSchul- und Hochschulunterricht durch
- Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, durch oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung (Buchst. i) und
- Privatlehrer (Buchst. j).
3. Es war bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass sich Unternehmer für eine gegenüber dem UStG weitergehende Steuerfreiheit auf das Unionsrecht berufen können. So hat der BFH unter Berufung aus das Unionsrecht die Steuerfreiheit z.B. bejaht für
- Kurse zu "Sofortmaßnahmen am Unfallort" (BFH, Urteil vom 10.1.2008, V R 52/06, BFH/NV 2008, 725, BFHE 221, 295),
- Ballettunterricht (BFH, Urteil vom 24.1.2008, V R 3/05, BFH/NV 2008, 1078, BFH/PR 2008, 358, BStBl II 2012, 267),
- Kampfsportschulen (BFH, Urteil vom 28.5.2013, XI R 35/11, BFH/NV 2013, 1740, BFH/PR 2013, 420, BStBl II 2013, 879),
- Supervisionen (BFH, Urteil vom 20.3.2014, V R 3/13, BFH/NV 2014, 1175, BFH/PR 2014, 270, BFHE 245, 391,
- Schwimmunterricht (BFH, Urteil vom 5.6.2014, V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687, BFH/PR 2014, 401, BFHE 245, 433) und für
- Dozenten, die für den Besucherdienst des Deutschen Bundestags tätig sind (BFH, Urteil vom 10.8.2016, V R 38/15, BFH/NV 2016, 1864, BFH/PR 2017, 31, BFHE 254, 448).
Der Unwille der Finanzverwaltung, diese Rechtsprechung zu akzeptieren, zeigt sich bereits daran, dass fast allen BFH-Urteilen in diesem Bereich die Veröffentlichung im BStBl versagt blieb.
4. Die weitergehende Steuerfreiheit nach der Richtlinie kann sich auch auf Fahrschulen auswirken.
a) Bislang erkennt die Finanzverwaltung nur die Steuerfreiheit der Leistungen von Fahrschulen für die Erlangung der Fahrerlaubnis der Klassen C, CE, D, DE, D1, D1E, T und L an (Abschn. 4.21.2 Abs. 6 UStAE).
b) Mit dem jetzt beim EuGH anhängigen Vorlageverfahren C-449/17, A & G Fahrschul-Akademie will der BFH klären lassen, ob die Leistungen einer Fahrschule insbesondere beim Erwerb des sog. Pkw-Führerscheins (Fahrerlaubnisklasse B) unter Berufung auf das Unionsrecht steuerfrei sein können.
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