a) Ausgangsbeispiel
Ein weiteres Problem bei der Antragstellung gem. § 164 Abs. 2 S. 2 AO kann daraus erwachsen, dass das Antragsbegehren unter Umständen nicht wiederholt vorgebracht werden kann.
Beispiel:
A beantragt eine Änderung des unter dem VdN gem. § 164 Abs. 1 AO stehenden Einkommensteuerbescheids 2021 dahingehend, dass Aufwendungen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten berücksichtigt werden. Das FA lehnt den Änderungsantrag mit ausführlicher Begründung ab. A legt keinen Einspruch ein, so dass der Ablehnungsbescheid bestandskräftig wird. Kurz danach stellt A den Änderungsantrag erneut. Das FA hält die Wiederholung des identischen Antrags für unzulässig und lehnt ihn ohne inhaltliche Prüfung ab.
b) Nach dem Gesetzeswortlaut keine Beschränkung auf einen einmaligen Antrag
Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, dass der Antrag nur einmal gestellt werden kann. Entsprechend hat der BFH seine Rspr. zur sog. schlichten Änderung kürzlich geändert und entschieden, dass ein Änderungsantrag gem. § 172 S. 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO auch dann zulässig ist, wenn damit erneut die Überprüfung der Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist (BFH v. 27.10.2020 – VIII R 30/17, BStBl. II 2021, 927 = AO-StB 2021, 184 [Kühnen]). Allerdings hat der BFH die Frage, ob der Änderungsantrag gem. § 172 S. 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO nach Ablehnung erneut gestellt werden darf, noch nicht entschieden. Ebenso auch nicht die Frage, ob ein abgelehnter Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 S. 2 AO zulässig wiederholt werden kann.
c) Bestandskraft eines dem Wiederholungsantrag vorausgehenden Ablehnungsbescheids
Dem erneuten – identischen – Änderungsantrag kann die Bestandskraft der vorausgehenden Ablehnungsentscheidung entgegengehalten werden. Denn es ist zu beachten, dass der Bescheid, mit dem das FA den ersten Änderungsantrag abgelehnt hat, als Verwaltungsakt i.S.v. § 118 AO ebenfalls Bindungswirkung und Bestandskraft entfaltet. Die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes dient der Effektivität der Verwaltung. Eine einmal getroffene Entscheidung soll deswegen nicht erneut infrage gestellt werden dürfen (Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rz. 12 ff.). Daher schließt die bestandskräftige Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung einen erneuten Antrag aus (BFH v. 30.4.2019 – V B 43/17 Rz. 8, juris, zur Vorsteuervergütung).
Dem steht die Entscheidung des BFH zum Änderungsantrag nach § 172 S. 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO nach einer Einspruchsentscheidung nicht entgegen. Denn der BFH hat seine Entscheidung für den Fall einer vorausgehenden Einspruchsentscheidung u.a. damit begründet, dass die erneute Thematisierung des identischen Problems in einem nachgehenden schlichten Änderungsantrag nicht zu einer theoretisch unendlichen Verkettung von neuen Anträgen und behördlichen Entscheidungen führt, sondern es in diesem Fall maximal zu einer zweimaligen Befassung der Finanzbehörde mit derselben inhaltlichen Frage kommen kann: einmal im Einspruchsverfahren und ein weiteres Mal im Verfahren über den Änderungsantrag. Dies wäre bei unbeschränkt möglichen Wiederholungsanträgen nach § 164 Abs. 2 S. 2 AO anders. Die Reduzierung auf ein nur einmaliges Antragsrecht durch teleologische Reduktion erscheint demnach auch weiterhin notwendig.
Beraterhinweis Das wiederum verlangt dem Steuerpflichtigen die Entscheidung ab, ob dem Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides entgegengetreten werden soll, ob also ein gegen die Ablehnungsentscheidung gerichtetes Einspruchs- und ggf. fortführend ein hiergegen gerichtetes Klageverfahren geführt werden soll, jeweils unter Inkaufnahme einer damit verbundenen Kostenlast bzw. eines daraus resultierenden Kostenrisikos. Der Steuerpflichtige kann diese Entscheidung – trotz des weiterhin bestehenden Vorbehaltes der Nachprüfung – nicht aufschieben und sich für eine später wiederholende Antragstellung vorbehalten.
Bei einer vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung zum ersten Änderungsantrag regelt § 110 Abs. 1 FGO eine personen- und sachverhaltsbezogene Bindungswirkung, die gem. § 110 Abs. 2 FGO auch bei einer etwaigen späteren Anwendung von Änderungsvorschriften zu beachten ist. Dementsprechend steht die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung über einen Vorbehaltsbescheid einer Änderung des Bescheids entgegen, solange kein neuer Sachverhalt festgestellt wird (BFH v. 24.10.2006 – I B 41/06 Rz. 4, juris).
d) Reichweite der entgegenstehenden Bestands- und Rechtskraft
Soll nach einer bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung ein erneuter Änderungsantrag gestellt werden, stellen sich mithin die folgenden Fragen: Liegt ein neuer Sachverhalt vor und, falls das nicht der Fall ist, kann der Sachverhalt dennoch zumindest im Rahmen des § 177 AO (Saldierung materieller Fehler) erneut aufgegriffen werden?
Ausschluss identischer Änderungsanträge: Da Bestandskraft und Rechtskraft des Ablehnungsbescheids einem erneuten Änderungsantrag nur insoweit entgegenstehen, als dieser inhaltlich identisch und unverändert ist, sind inhaltlich abweichende Änderungsanträge weiterhin möglich. Es ist deshalb erforderlich, den Inhalt des Ablehnungsbescheids zu bestimmen, wobei der Beschei...