OFD Cottbus, Verfügung v. 23.10.2003, S 2280 - 7 - St 212
1. Neuregelung des Unterhaltsrechts nach § 1612b Abs. 5 BGB
Mit Kurzinformation Ertragsteuern vom 23.07.2001, Ausgabe 40/01 hatte ich über die Änderung des Unterhaltsrechts durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts informiert. Danach wird seit dem 1. Januar 2001 bei der Ermittlung des zu leistenden Unterhalts bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil eine Anrechnung des hälftigen Kindergeldes auf den Tabellenunterhalt nur noch dann vorgenommen, wenn das hälftige Kindergeld zusammen mit dem geschuldeten Unterhalt den jeweils geltenden 135%-igen Regelbetrag übersteigt. Unterhaltsrechtlich unterbleibt also eine Anrechnung des Kindergeldes wenn der Steuerpflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrags zu leisten (§ 1612b Abs. 5 BGB).
2. Steuerliche Würdigung der Neuregelung des § 1612b Abs. 5 BGB
Gleichwohl ist steuerrechtlich weiterhin eine Anrechnung eines hälftigen Kindergeldes beim barunterhaltspflichtigen Elternteil vorzunehmen, weil § 31 Satz 6 EStG auch in diesen Fällen einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch unterstellt. Bei der steuerrechtlichen Prüfung der Frage, ob mit dem im Wege des zivilrechtlichen Ausgleichs „geleistete” Kindergeld die steuerrechtlich gebotene Freistellung erreicht wurde (§ 31 Satz 6 EStG), ist somit weiterhin ein hälftiger Kindergeldanteil zu berücksichtigen. Der Ausgleichsberechtigte wird so gestellt, als habe er den hälftigen Anteil erhalten, und – ganz oder teilweise – zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen eingesetzt.
3. Einspruchsverfahren
Gegen diese Rechtsauffassung wenden sich vermehrt Steuerpflichtige und begehren im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags ohne Gegenrechnung von Kindergeld. Ihrer Meinung nach liegt ein „Zustehen eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs” gemäß § 31 Satz 6 zweiter Teilsatz, aufgrund der Neuregelung des § 1612b Abs. 5 BGB nicht vor, so dass die Regelung des § 31 Satz 6 EStG nicht angewandt werden könne.
Eine derartige Vergleichsrechnung ohne Berücksichtigung des hälftigen Kindergeldes würde in Einzelfällen dazu führen, dass im Rahmen der Günstigerprüfung einerseits ein halber Kinderfreibetrag und andererseits das „gesamte” Kindergeld zu berücksichtigen ist. Eine derartige Lösung würde aber das System des Familienleistungsausgleichs unterlaufen.
Gleichwohl hat das Finanzgericht Münster eine diesbezügliche Klage als begründet anerkannt und entschieden, dass im Rahmen der Günstigerprüfung die Hinzurechnung des Kindergeldes gemäß § 36 Abs. 2 EStG zwingend zu unterbleiben hat, wenn der Unterhaltsanspruch des Kindes nach den gesetzlichen Bestimmungen des BGB nicht um das anteilige Kindergeld gekürzt werden darf, d.h. wenn auf die Unterhaltspflicht des barunterhaltsverpflichteten Elternteil kein hälftiges Kindergeld angerechnet werden kann.
Gegen dieses Urteil ist Revision eingelegt worden, die beim BFH unter dem Az. BFH, VIII R 51/03 geführt wird. Damit liegen die Voraussetzungen für das Ruhen gleichgelagerter Einspruchsverfahren vor (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Somit ruhen auch die mir bisher zu dieser Rechtsfrage vorgelegten Fälle. Aussetzung der Vollziehung kann gewährt werden.
In diesem Zusammenhang bitte ich zu beachten, dass die Frage der Anrechnung des Kindergeldes im Rahmen der Günstigerprüfung für sog. „Mangelfälle” bereits in dem Verfahren BFH, VIII R 73/99 (altes Az.: BFH, VI R 117/99) zu klären ist.
4. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Ergänzend teile ich mit, dass beim BVerfG unter dem Az. BVerfG, 1 BvL 1/01 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 1612b Abs. 5 BGB anhängig war. Das Verfahren ging auf den Vorlagebeschluss des Familiengerichtes Kamenz vom 30. Januar 2001, 1 F 210/00, zurück, das im Ausschluss der Anrechnung des Kindergeldes auf die Unterhaltszahlung eine nicht verfassungsgemäße Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung des Existenzminimums von Familien und Kindern gesehen hat.
Das BVerfG hat nunmehr mit Beschluss vom 9. April 2003 zum Vorlagebeschluss des Familiengerichtes Kamenz und zur Verfassungsbeschwerde BVerfG, 1 BvR 1749/01 (zu gleicher Rechtsfrage) entschieden, dass § 1612b Abs. 5 BGB nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unterhaltsberechtigten Kindes die Anrechung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen.
Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Vorschrift des § 31 EStG nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, ob auch dann, wenn ein Anspruch nach § 32 Abs. 6 EStG auf Freibeträge vorliegt, eine steuerliche Anrechnung von Kindergeld vorzunehmen ist, wenn das Kin...