Leitsatz
1. Auch die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch die Finanzbehörde (§ 125 Abs. 5 AO) kann Regelungswirkung haben und daher ihrerseits einen der Bestandskraft fähigen Verwaltungsakt darstellen (Änderung der Rechtsprechung).
2. Stellt die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt die Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids fest, ist der Folgebescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Zugleich bewirkt die Nichtigkeitsfeststellung die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid (§ 171 Abs. 10 AO).
Normenkette
§ 118, § 124, § 125 Abs. 5, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 AO, § 41 Abs. 1, § 110 Abs. 1 FGO, § 44 Abs. 5 VwVfG, § 40 Abs. 5 SGB X
Sachverhalt
Die Kläger wenden sich gegen die Anpassung ihres Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, die auf die Feststellung der Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gestützt wurde. Materiell-rechtlich ging es um die Frage, ob der Kläger als Kommanditist einen Veräußerungsgewinn im Jahr 1994 oder im Jahr 1993 erzielt hatte. Im Feststellungsbescheid vom 26.3.1997 war das Betriebsstätten-FA A zunächst der Meinung gewesen, der Veräußerungsgewinn sei 1994 angefallen. Nach einer Betriebsprüfung sah das FA A den Veräußerungsgewinn hingegen als im Jahr 1993 entstanden an. Die 2001/2002 entsprechend geänderten Feststellungsbescheide für 1993 und 1994 bezeichneten aber den falschen Inhaltsadressaten.
Den gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 (in dem kein Veräußerungsgewinn enthalten war) gerichteten Einspruch nahm der Kläger im März 2003 zurück.
In Bezug auf den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid für 1994 vom 17.1.2002 richtete das FA A an den Kläger im Juli 2004 das folgende Schreiben:
„… hiermit stelle ich zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins, die Nichtigkeit des Bescheides 1994 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte fest. Der Bescheid vom 17.1.2002 ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig und folglich unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO) …
Hinweis:
Durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 17.1.2002 lebt der Ihnen bekanntgegebene Feststellungsbescheid vom 26.3.1997 wieder auf.”
Das FA A informierte zeitgleich das Wohnsitz-FA, welches bei der Einkommensteuer 1994 wieder den Veräußerungsgewinn berücksichtigte. Der von den Klägern gestellte AdV-Antrag blieb beim FA und FG erfolglos. Die AdV wurde ihnen aber auf ihre Beschwerde hin vom BFH gegen Sicherheitsleistung gewährt (Beschluss vom 21.6.2005, X B 72/05, BFH/NV 2005, 1490). Im Hauptsacheverfahren blieben Einspruch und Klage ohne Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 18.5.2010, 2 K 146/06, Haufe-Index 2353328, EFG 2010, 1950). In ihrer Revision machen die Kläger geltend, die Mitteilung des FA A über die Unwirksamkeit des Bescheids habe nur deklaratorischen Charakter, da nach ständiger BFH-Rechtsprechung die Nichtigkeitsfeststellung gem. § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt sei.
Entscheidung
Die Revision war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen unbegründet. Der BFH war der Auffassung, die Feststellung der Nichtigkeit eines Gewinnfeststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO habe den Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid ermöglichen können. Die Finanzbehörde könne grundsätzlich die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts in der (Handlungs-) Form eines Verwaltungsakts feststellen.
Hinweis
Es ist grundsätzlich möglich, die in § 125 Abs. 5 AO vorgesehene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts zu treffen.
Mit dieser Aussage hat der BFH – mit Zustimmung der betroffenen Senate – seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und sich der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG angeschlossen, die zu den gleichlautenden Bestimmungen der anderen Verfahrensgesetze die Auffassung vertreten, eine Nichtigkeitsfeststellung sei ein Verwaltungsakt.
1. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch eine Behörde kann ihrerseits alle in § 118 AO genannten Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts erfüllen. Insbesondere ist eine derartige Feststellung dem Grunde nach fähig und geeignet, unmittelbare Rechtswirkungen nach außen zu zeitigen. Zwar ändert sich an der objektiven Nichtigkeit des vorangegangenen Verwaltungsakts durch eine spätere Nichtigkeitsfeststellung nichts. Gleichwohl beseitigt diese Feststellung den durch den vorangegangenen nichtigen Verwaltungsakt erzeugten Rechtsschein.
Die Wirkung der Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts besteht vor allem darin, eine endgültige und der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Frage der Nichtigkeit zu treffen und die möglicherweise streitige Frage, ob der Verwaltungsakt nichtig war, mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten zu beantworten. Diese Bestandskraftwirkung ist eine Rechtswirkung, die über die in der Beseitigung des Rechtsscheins liegende Rechtswirkung noch deutlich hinausgeht und zwingend die Annahme einer Regelungswi...