Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Umsätze eines Rechtsanwalts bei Ist-Versteuerung. Einschränkung der Amtsermittlungspflicht im AdV-Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, ist im Aussetzungsverfahren dahingehend eingeschränkt, dass einerseits nur präsente Beweismittel zu berücksichtigen sind, andererseits aber nicht der volle Beweis der behaupteten Tatsache erbracht werden muss.
2. Das FG ist zur Schätzung der Umsatzsteuer befugt, wenn im finanzgerichtlichen Verfahren die Umsätze eines Rechtsanwalts nicht vollständig aufgeklärt werden können, da dieser unter Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht weder eine Auflistung der Betriebseinnahmen, der Betriebsausgaben, der Privateinlagen, der Privatentnahmen noch seine Buchhaltung einschließlich der Ausgangsrechnungen, Abrechnungen und Kontoauszüge vorlegt.
3. Bei Anwendung der Ist-Besteuerung nach § 20 UStG hat ein Rechtsanwalt die Umsatzsteuer nach den vereinnahmten Entgelten und nicht nach der Kostenfestsetzung nach dem endgültigen Prozessabschluss zu berechnen.
4. Nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege verdienen die Aufzeichnungen des Unternehmers Vertrauen und können für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen.
5. Bei Unterhaltung eines gemischten Kontos muss durch entsprechende Aufzeichnungen dafür Sorge getragen werden, dass die Herkunft der auf diesem Konto eingehenden Geldbeträge geklärt werden kann.
Normenkette
AO §§ 162, 90 Abs. 1 S. 2; UStG §§ 22, 20, 13 Abs. 1 Nr. 1; FGO §§ 69, 76, 96 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2004 vom 20. Mai 2010 wird in Höhe von 124,16 EUR Umsatzsteuer ausgesetzt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2006 bestehen.
Der Antragsteller (Ast) ist ein selbständiger Rechtsanwalt. Für den Streitzeitraum gab er folgende Umsatzsteuererklärungen ab:
Jahr |
Eingang beim Finanzamt |
Umsätze |
Vorsteuer |
Angemeldete Umsatzsteuer |
2004 |
27.06.2006 |
263.261,00 EUR |
15.264,00 EUR |
26.856,00 EUR |
2005 |
05.04.2007 |
226.208,00 EUR |
10.731,87 EUR |
25.461,49 EUR |
2006 |
10.03.2008 |
227.769,00 EUR |
13.748,00 EUR |
22.120,00 EUR |
Für 2006 erließ der Antragsgegner (Ag) wegen eines Rechenfehlers in der Steuererklärung am 28. Mai 2008 einen Umsatzsteuerbescheid, in dem er die Umsatzsteuer richtig berechnete und auf 22.695,04 EUR festsetzte. Den dagegen eingelegten Einspruch nahm der Ast wieder zurück.
Ab 12. November 2008 führte der Ag beim Ast eine Betriebsprüfung durch, in deren Verlauf gegen den Ast ein Steuerstrafverfahren u.a. wegen des Verdachts der Verkürzung von Umsatzsteuer 2004 bis 2006 eingeleitet wurde. Im Prüfungsbericht führte die Prüferin aus, der Ast habe das Journal, die Kontoauszüge des sowohl für betriebliche als auch für private Zahlungen genutzten Bankkontos sowie die Kopie einer handschriftlichen Aufstellung über die Betriebseinnahmen vorgelegt. In die Ausgangsrechnungen habe er keinen Einblick gewährt. Nach den Angaben des Ast sei die Erfassung der Einnahmen in der vorgelegten Liste jeweils nach Abschluss des Verfahrens und nicht nach Zahlungseingang erfolgt. Im Journal seien verschiedene Kontenbewegungen als Privatentnahmen oder Privateinlagen aufgeführt worden; alle übrigen Vorgänge seien als durchlaufende Posten gebucht worden. Die Prüferin behandelte alle Kontenzugänge, die nicht als Privateinlagen gekennzeichnet waren, und die sie nicht eindeutig dem Bereich der Vermietung und Verpachtung zuordnen konnte, als umsatzsteuerpflichtige Betriebseinnahmen. Aus den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen schied sie die Umsatzsteuer aus dem Bezug der X-Zeitung und aus mehreren bislang doppelt erfassten Rechnungen aus der Vermietung von Grundstücken aus.
Der Ag folgte der Prüferin und änderte die Umsatzsteuerfestsetzung mit Bescheiden vom 20. Mai 2010 wie folgt:
Jahr |
Umsätze |
Vorsteuer |
Umsatzsteuer |
Erhöhung |
2004 |
333.279,00 EUR |
12.830,41 EUR |
40.494,23 EUR |
12.560,26 EUR |
2005 |
300.118,00 EUR |
8.215,41 EUR |
39.803,47 EUR |
14.341,98 EUR |
2006 |
265.898,00 EUR |
13.728,69 EUR |
28.814,99 EUR |
6.119,95 EUR |
Gegen die Bescheide vom 20. Mai 2010 legte der Ast am 15. Juni 2010 Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung ihrer Vollziehung. Die Bescheide seien nichtig, weil sie keine Begründung enthielten, sondern lediglich auf den Prüfungsbericht vom 30. März 2010 Bezug nähmen. Es sei ihm die Auskunft darüber verweigert worden, warum bei ihm nach 1987 noch einmal drei Betriebsprüfungen stattgefunden hätten. Er habe den Verdacht, dass der Vorsteher des Finanzamts Y ihn aus persönlichen Gründen schikaniere. Entgegen den Ausführungen der Prüferin habe er, der Ast, ihr neben weiteren Unterlagen auch Ausgangsrechnungen vorgelegt. Er habe der Prüferin mitgeteilt, dass der Honoraranspruch häufig erst aufgrund der Streitwertfestsetzung feststehe. Es treffe nicht zu,...