Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme eines Wirtschaftsprüfers nach § 69 AO 1977 bei unterlassener Anhörung der Berufskammer. Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen. Sicherheitsleistung bei Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Haftung für Lohnsteuer für November 1995
Leitsatz (redaktionell)
1. Verstößt das FA bei der Haftungsinanspruchnahme eines in Ausübung seines Berufs tätigen Wirtschaftsprüfers nach § 69 AO 1977 gegen die Verpflichtung die zuständige Berufskammer zumindest bis zum Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens anzuhören, ist der Haftungsbescheid rechtswidrig.
2. Ein Wirtschaftsprüfer wird in Ausübung seines Berufs i.S. des § 191 Abs. 2 AO 1977 tätig, wenn er die Beratung der Geschäftsführung eines Gemeinschuldners bei der Erstellung und Umsetzung eines Sanierungsplans übernimmt.
3. Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn der Beigeladene den obsiegenden Kläger unterstützt hat.
4. Zur Frage der Sicherheitsleistung bei Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit (Anschluss an das Urteil des FG Baden-Württemberg 26.2.1991 4 K 23/90 (EFG 1991, 328)).
Normenkette
AO 1977 § 191 Abs. 2, §§ 69, 34, 126 Abs. 1 Nr. 5; FGO § 102 S. 2, § 139 Abs. 4, § 151 Abs. 3, § 155; ZPO § 708 Nr. 11, § 711; WPO § 2 Abs. 3 Nr. 2
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 17. Juli 1997 und die Einspruchsentscheidung vom 9. November 1999 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss errechneten Betrags Sicherheit leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Firma … (im Folgenden: …) wurde 1980 gegründet. Komplementärin und Geschäftsführerin der … war die Firma … (im Folgenden: … GmbH). Mit Eintrag vom 19. Oktober 1995 im Handelsregister für die … GmbH ist vermerkt:
„Zum Geschäftsführer wurde …, bestellt; er ist alleinvertretungsberechtigt und befugt, die Gesellschaft bei der Vornahme von Rechtsgeschäften mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten uneingeschränkt zu vertreten”.
Die … kam 1995 in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die im Konkurs dieses Unternehmens endeten (vgl. Beschluss des Amtsgerichts … – Konkursgericht – vom 1. Februar 1996 über die Eröffnung des Konkursverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, Bl. 45 der Lohnsteuerakten … – Arbeitgeber – des Beklagten – Bekl –).
Mit Vertrag vom 1. und 4. September 1995 übernahm die Klägerin (Klin) die Beratung der Geschäftsführung der … bei der Erstellung und Umsetzung eines Sanierungsplans. Auftragsinhalt war insbesondere die Beratung und Unterstützung durch Tätigkeit vor Ort. Wegen der Einzelheiten dieses Beratungsvertrags wird auf ihn Bezug genommen (Bl. 34–43 der Finanzgerichts (FG-)Akten).
Die Lohnsteuer-Anmeldung der … für den Monat November 1995 wurde am 29. Dezember 1995 beim Bekl eingereicht (Bl. 24 der Überwachungsakten der Lohnsteuer-Anmeldungen des Bekl). Der dort ausgewiesene Steuerbetrag in Gesamthöhe von DM wurde nicht mehr an den Bekl abgeführt.
Mit Bescheid vom 31. Januar 1996 wurde … nach §§ 69, 34 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) als Geschäftsführer u.a. wegen der Lohnsteuer-Anmeldung November 1995 der … in Haftung genommen. Hiergegen richtete sich der Einspruch des … vom 6. Februar 1996. Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 1999 setzte der Bekl die Haftungssumme für … wegen Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer, Solidaritätszuschlag und steuerlichen Nebenleistungen der … auf 482.515,90 DM herab. Hiergegen hat … am 15. Juni 1999 Klage beim FG Baden-Württemberg – Außensenate Stuttgart – erhoben (Az.: 5 K 204/99). Dieses Verfahren ruht auf Antrag der Beteiligten.
Mit Bescheid vom 17. Juli 1997 wurde die Klin nach §§ 69, 35 Abs. 1 AO für die Abgabenschulden der … (Lohnsteuer-Anmeldung 1995) in Haftung genommen. Hiergegen richtete sich der Einspruch der Klin vom 23. Juli 1997. In der Einspruchsentscheidung des Bekl vom 9. November 1999 wurde die Haftungssumme gegenüber der Klin wegen der Haftung für Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer, Solidaritätszuschlag und steuerliche Nebenleistungen der … auf … DM herabgesetzt.
Mit ihrer Klage vom 29. November 1999 trägt die Klin vor, im Haftungsbescheid vom 17. Juli 1997 werde zur Begründung ihrer angeblichen Haftung lediglich ausgeführt, sie sei faktische Geschäftsführerin gewesen. In der Begründung dieses Verwaltungsaktes fehle es an jeglicher Darlegung, wodurch und mit welchem Inhalt sie angeblich bevollmächtigt worden und wie sie im Innen- und Außenverhältnis aufgetreten sei. Der Bekl habe vielmehr die Behauptung, sie sei faktische Geschäftsführerin der … gewesen, lediglich in den Raum gestellt.
Wegen ihres Vortrags hierzu im Einzelnen und ihrer rechtlichen Bewertung wird auf die Schriftsätze der Kl...